Biene – B.1 Antike Zoologie

Die antike (Fach-)Literatur befasst sich mit Bienen vergleichsweise häufig. Dies hängt mit ihrer Bedeutung als Lieferanten von Honig und Wachs zusammen. Diese Bedeutung dürfte zudem zu ihrer im Allgemeinen überaus positiven Wahrnehmung beigetragen haben (z. B. Plinius NH 11,11). Neben den umfangreichen Beschreibungen der Tiere in der antiken Naturkunde (z. B. Aristoteles HA 5,21f.; 9,40 und Plinius NH 11,11-70), behandeln auch agronomische Texte die Haltung und Zucht der Bienen sowie die Honiggewinnung (z. B. Varro Res rusticae 3,16; Columella Res rustica 9,2-16; Palladius Opus agriculturae passim, Geoponica 15,2-9; zudem wurden Vergils Georgica, deren 4. Buch die Bienenzucht zum Thema hat, in der Antike oftmals auch als fachliche Quelle geschätzt). Neben ihrem Gemeinsinn und ihrer Sozialität (dazu s. im Folgenden) werden den Bienen viele weitere positive Eigenschaften zugeschrieben wie Fleiß (z. B. Aristoteles HA 622b19-22; Varro Rust. 3,16,8), gewisse mentale Fähigkeiten (Varro Rust. 3,16,3f.; Vergil Georg. 4,219-221; Quintilian Institutio oratoria 2,16,16; Geoponica 15,3,1) und Reinlichkeit (Aristoteles HA 626a24f.; Plinius NH 11,25; Geoponica 15,3,4).

Bei den Bienen werden Königinnen (meist hält man diese jedoch für männlich; s. im Folgenden), Arbeiterinnen und Drohnen unterschieden, aber nicht unbedingt als unterschiedliche Kasten bzw. Geschlechter derselben Art erkannt. Aristoteles (HA 623b5-13) oder Varro (Res rusticae 3,16,19) etwa scheinen sie eher für drei „Arten“ zu halten, neben denen Wespen auf derselben systematischen Ebene genannt werden. Darüber hinaus werden noch unterschiedliche Varianten (modern könnte man von Rassen sprechen) von „normalen“ Bienen (Arbeiterinnen) und Königinnen beschrieben, die sich aber jeweils nicht entsprechen müssen.

Eine wichtige Debatte der antiken Zoologie betrifft die Fortpflanzung der Bienen. Da man wohl keine Paarung beobachtet hatte und zudem, wie gesagt, teilweise von einer Dreizahl der „Arten“ ausging, konnte man sich nicht erklären, wie sich Bienen vermehren (z. B. Aristoteles GA 759a8; Plinius NH 11,46). Die meisten Autoren gehen daher von einer asexuellen Fortpflanzung aus, was sicherlich zur Wahrnehmung der Bienen als außergewöhnliche Tiere beitrug. Besonders umfangreich behandelt Aristoteles die Fortpflanzung der Bienen im 5. Buch (Kap. 21 u. 22) der Historia animalium und im 3. Buch (Kap. 10) der Schrift De generatione animalium. Aristoteles diskutiert hier verschiedene Ansichten und gelangt schließlich nach logischem Ausschluss aller anderen Möglichkeiten zu seiner eigenen Theorie (GA 759b27-760a4): Der zufolge bringen die Bienenköniginnen als biologische Hermaphroditen sowohl neue Königinnen als auch „normale“ Bienen ohne Paarung hervor, letztere auf gleiche Weise die Drohnen, die ihrerseits steril sein sollen. In einem berühmten Schlusssatz (GA 760b27-33) betont Aristoteles freilich die Vorläufigkeit seiner Theorie, die durch andere Beobachtungen widerlegt werden könne. Nach einer weiteren, in der antiken Literatur häufig vertretenen Ansicht sammeln Bienen ihre Brut von bestimmten Pflanzen ein und tragen sie in den Stock, wo sie sich entwickelt (z. B. Vergil Georg. 4,197-202; Plinius NH 11,46; Ambrosius Hexaemeron 5,67). Gerade christliche Autoren (z. B. Laktanz Divinae institutiones 1,8,8; Augustinus De trinitate 3,13) betonen die vermeintlich asexuelle Fortpflanzung der Bienen und führen sie als naturkundlichen Beleg dafür an, dass eine jungfräuliche Geburt möglich ist. Zugleich ist die daraus abgeleitete Keuschheit der Bienen eine weitere positiv konnotierte Eigenschaft. Eine aus moderner Sicht eher wundersame Art der Erzeugung eines Bienenschwarmes ist die sogenannte Bugonie, d. h. die Entstehung eines Bienenschwarmes aus einem toten Rind. Beschreibungen der Bugonie lassen sich erst zu Beginn des Hellenismus sicher nachweisen, finden dann aber recht schnell Eingang in die (Fach-)Literatur (z. B. Antigonos von Karystos Mirabilia 19,1; Varro Rust. 2,5,5; 3,2,1; 3,16,5; Vergil Georg. 4,281-314; Columella Rust. 9,14,6; Plinius NH 11,70; Geoponica 15,2,21-36), wobei sich die Schilderungen des genauen Vorgehen im Einzelfall unterscheiden kann. So fremd die Bugonie heute anmuten dürfte, sie knüpft doch an verbreitete antike Vorstellungen an. Dies gilt besonders für die Theorie der sogenannten Spontangenese bzw. Urzeugung, nach der kleine Tiere ohne Paarung aus anorganischen Substanzen hervorgehen können (eine ausführliche Darstellung bietet etwa Aristoteles GA 762a9-27).

Eng mit der Frage der Fortpflanzung ist auch die nach dem Geschlecht der Bienen (z. B. Aristoteles GA 759b1-7) und vor allem der Bienenkönigin verknüpft. Meist hielt man diese zumindest bezüglich ihres sozialen Geschlechts für männlich, nur selten wird sie eindeutig als Weibchen angesehen (z. B. Arrian Indica 8,11; Epiktet Diatriben [lat. Dissertationes] 3,22,99). Dies hängt wohl in erster Linie mit der Tatsache zusammen, dass eine Analogie zur menschlichen Gesellschaft hergestellt wurde, in der der Herrscher ebenfalls meistens männlich war. Ebenso wurde auch die Frage nach einem Stachel der Bienenkönigin diskutiert. Während man wusste, dass die Arbeiterinnen über einen verfügen, die Drohnen aber nicht, war dies im Falle der Bienenköniginnen nicht sicher. Viele Autoren wie Aristoteles (HA 533b5-7; GA 760a14) und Plinius (NH 11,52) stellen fest, dass die Bienenkönigin einen Stachel besitzt, diesen aber nicht oder zumindest selten einsetzt (dies stimmt in etwa mit den modernen Kenntnissen überein). Andere dagegen wie etwa Seneca (De clementia 1,19,3), Columella (Rust. 9,10,1) oder Dion Chrysostomos (Oratio 4,63) sprechen sich gegen einen Stachelbesitz der als Männchen wahrgenommenen Königin aus, wobei auch in dieser Frage die naturkundliche Theorie oftmals stark von bestimmten Ansichten zur menschlichen Gesellschaft geprägt ist.

Bienen wurden als besonders soziale Tiere wahrgenommen, deren ausgeklügeltes Staatssystem denen der Menschen oftmals mindestens ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen ist (z. B. Platon Phaidon 82b6f.; Aristoteles HA 488a7-10; Varro Rust. 3,16,4; Vergil Georg. 4,153-155; Plinius NH 11,11; Quintilian Inst. 5,11,24; Ambrosius Hex. 5,67). Die Gesellschaft der Bienen wird in vielen antiken Texten meist als eine Art Monarchie beschrieben, doch finden sich auch prominente Ausnahmen davon. Gerade Autoren, die den Bienenstock eher naturnah beschreiben wie Aristoteles (HA 553b15-19; GA 625a16-22), Columella (Rust. 9,9,6) und Palladius (Op. agr. 7,7,6) gehen von mehreren Königen im Stock aus. Aristoteles (HA 553b15-19) hebt in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervor, dass Bienenkönige in erster Linie aufgrund ihrer Bedeutung für die Fortpflanzung so zahlreich sein sollen, weniger jedoch für die „Regierung“ des Stocks. Ein wichtiger Grund für die Annahme mehrerer Könige in einem Stock könnte in der Beobachtung abgehender Schwärme liegen. Diese werden oftmals als Folge eines Zwistes zwischen zwei Königen gedeutet, wobei der Unterlegene mit einem Teil des Volkes ausziehen soll.

Viele andere Autoren (z. B. Vergil Georg. 4,210-218; Seneca De clem. 1,19,2-4; Plinius NH 11,52f.; Aelian NA 5,10f.) zeigen jedoch einen stark anthropomorph beschriebenen Bienenstock, in dem der König der Garant der Ordnung ist und von den übrigen Bienen sehr verehrt wird. Vor allem in lateinischen Texten, weniger jedoch in griechischen, wird der Bienenstock oftmals mit militärischen Termini beschrieben. Erstmals in den Georgica Vergils (4,67-87) wird eine Schlacht zwischen zwei Bienenkönigen und ihrem jeweiligen Gefolge geschildert, die sich so freilich nicht in der Natur beobachten lässt. Diese vermeintliche Bienenschlacht findet sich dann auch bei den späteren lateinischen Autoren, die sich mit Bienen beschäftigen (z. B. Columella Rust. 9,9,5; Plinius NH 11,58; Palladius Op. agr. 7,7,6; ein Nachklang davon findet sich bei Isidor Etymologiae 12,8,1). Im Detail kann es aber Unterschiede in der Darstellung geben.

Wohl vor allem weil man die Bedeutung der Drohnen für die Fortpflanzung nicht kannte, werden sie in den antiken Quellen (z. B. Hesiod Theogonie 594-602; Werke und Tage 304-306; Aristoteles HA 625a14-16; Varro Rust. 3,16,8; Vergil Georg. 4,244; Isidor Etym. 12,8,3) in erster Linie als faule Schädlinge des Bienenstockes wahrgenommen, zu deren Bekämpfung zuweilen bestimmte Maßnahmen empfohlen werden (Aristoteles HA 553b12-14; Columella Rust. 9,15,3; Geoponica 15,9). Darüber hinaus wird in einigen Schriften (z. B. Aristoteles HA 553b7-12; 624b20-27; 625a14-16; Varro Rust. 3,16,19; Plinius HN 11,57) auch der sogenannte „Dieb“ erwähnt, der als bienenähnliches Tier Honig aus dem Stock stehlen soll. Diese weitere „Art“ ist nicht immer scharf von den Drohnen getrennt, teilweise werden Drohnen und Diebe sogar explizit gleichgesetzt.

Häufig werden Bienen und ihr Honig als Metapher für die Literaturproduktion verwendet. Wohl ausgehend von dem bereits bei Homer (Ilias 1,249) und Hesiod (Theog. 81-84) belegtem Vergleich zwischen angenehmer Rede und Honig werden wenig später auch die jeweiligen Produzenten also Autor/Dichter und Biene miteinander in Beziehung gesetzt. Seltener wird auch der Rezipient von Literatur mit einer Biene verglichen.

Ausg.: Aelian: De natura animalium, ed. M. García Valdés/L. A. Llera Fueyo/L. Rodríguez-Noriega, 2009; Ambrosius: Opera, Pars I. Hexaemaron, De paradiso, De Cain et Abel, De Noe, De Abraham, De Isaac, De bono mortis, ed. K. Schenkl, 1897; Antigonos von Karystos: Paradoxographorum Graecorum reliquiae, ed. A. Giannini, 1965; Aristoteles: De generatione animalium, ed. H. J. Drossaart Lulofs, 1965; Aristoteles: Historia animalium, ed. D. M. Balme, prepared for publication by A. Gotthelf, 2011; Arrian: Scripta minora et fragmenta, ed. A. G. Roos/G. Wirth, 1967; Augustinus: De trinitate libri XV. Libri I–XII, ed. W. J. Mountain/ F. Glorie, 1968; Columella: Res rustica, ed. R. H. Rodgers, 2010; Dion Chrysostomos: Discourses I-XI, ed. J. W Cohoon, ND 1971; Epiktet: Dissertationes, ed. H. Schenkl, 1965; Geoponica, ed. H. Beckh, 1895; Hesiod: Theogonia, Opera et dies, Scutum, ed. F. Solmsen. Fragmenta selecta, ed. R. Merkelbach/M. L. West, 1990; Homer: Ilias, ed. M. L. West, 1998–2000; Isidor: Etymologiae sive Origines, ed. W. M. Lindsay, 1911; Laktanz: Divinae institutiones, Fasciculus I. Libri I et II, ed. E. Heck/A.Wlosok, 2005; Palladius: Opus agriculturae, De veterinaria medicina, De insitione, ed. R. H. Rodgers, 1975; Platon: Opera, Volumen I, ed. E. A. Duke/W. F. Hicken/W. S. M. Nicoll/D. B. Robinson/J. C. G. Strachan, 1995; Plinius: Naturalis historia, ed. R. König/G. Winkler, 1973-2007, Buch 11; Quintilian: Institutio oratoria, ed. M. Winterbottom, 1970; Seneca: De clementia, ed. E. Malaspina, 2016; Varro: Res rusticae, ed. D. Flach, 2006; Vergil: Opera, ed. R. A. B. Mynors, 1969.

Lit.: D. Berrens: Bienen und Literatur, Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 25 (2015), 155-164; D. Berrens: Soziale Insekten in der Antike, Diss. Mainz 2016; E. Crane: The world history of beekeeping and honey hunting, 1999; M. Davies/J. Kathirithamby: Greek insects, 1986, 47-72; D. Engels/C. Nicolaye (ed.): „Ille operum custos“. Kulturgeschichtliche Beiträge zur antiken Bienensymbolik und ihrer Rezeption, 2008; O. Keller: Die antike Tierwelt 2, ND 1980, 421-431; L. Koep: Biene, RAC 2 (1954), 274-282; M. Misch: Apis est animal, apis est ecclesia. Ein Beitrag zum Verhältnis von Naturkunde und Theologie in spätantiker und mittelalterlicher Literatur, 1974; F. Olck: Biene, RE 3,2 (1897), 431-450; D. Peil: Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik in literarischen Zeugnissen von der Antike bis zur Gegenwart, 1983, 166-301; H. M. Ransome: The sacred bee in ancient times and folklore, 1937; J. H. Waszink: Biene und Honig als Symbol des Dichters und der Dichtung in der griechisch-römischen Antike, 1974; E. Wimmer: Biene und Honig in der Bildersprache der lateinischen Kirchenschriftsteller, 1998.

Dominik Berrens

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