SCHWEIN – Reales Tier / Denktradition

Schwein – B.1 Antike Zoologie

Ein frühes Dokument zur antiken Schweinezucht findet sich im 14. Buch der Odyssee (um 800 v. Chr.). Auffällig hier das Verhältnis von Sauen zu Ebern sowie die Präferenzen der Abnehmer. Eine Gleichzahl von Sauen und Ebern wird als normal unterstellt. Zu den 600 Sauen gehören hier nur 360 Eber, die restlichen sind den übermütigen Freiern zum Opfer gefallen. Eumaios, der ›göttliche Sauhirt‹, und seine Helfer müssen sich mit Ferkeln und Jungschweinen begnügen. Auch Hesiods landwirtschaftliches Lehrgedicht Erga kai Hēmerai (700 v. Chr.) thematisiert die Schweinehaltung und verweist z. B. den Züchter auf den 8. Tag des Mondmonats als richtigen Zeitpunkt zur Eberkastration. Xenophons Schrift über das Hauswesen (Oikonomikos, um 400 v. Chr.) beschreibt die Qualitäten der Zuchttiere und warnt vor der schwachen Sau, die keinen großen Wurf von Ferkeln großziehen kann.

Die erste zoologisch und tiermedizinisch zutreffende Darstellung liefert Aristoteles in seinem Werk Peri ta zōa historiai (Historia animalium). In der Beschreibung der Körperteile von Wirbeltieren wird bei funktionsgleichen Organen mehrfach Ähnlichkeit mit dem Menschen beobachtet (HA 495b27; 507b20 [mit Unterschieden]). Im Abschnitt über die tierischen Nahrungsgewohnheiten erläutert Aristoteles die besondere Eignung der rüsselförmigen Schnauze zum Wühlen nach schmackhaften Wurzeln (HA 595a17-23).

Die erste Erwähnung des Schweins in der lateinischen Sachliteratur findet sich beim Älteren Cato in De agri cultura (150 v. Chr.), hier auch die überragende Bedeutung des Schweins als Opfertier, c. 134: porcae praecidaneae (im Voraus geschlachtete Sauen beim Erntebeginn), in c. 139: piaculum (Sühneopfer), in c. 141: bei den suovetaurilia [feierliches Reinigungsopfer mit Schwein, Schaf und Stier]. Im 1. Jhdt. v. Chr. leitet Varro (De re rustica 2,4,9) das griechische ὗς hys von einem (im Griechischen nicht belegten) θῦς thys (< thyein = ›opfern‹) her und unterstreicht damit dessen kultische Bedeutung. Vertragsabschlüsse, insbesondere auch der Beginn der Ehe, sollen mit einem Schweineopfer eingeleitet werden. Im Übrigen zählt ausschließlich die ökonomische Perspektive, denn: suillum pecus donatum ab natura ad epulandum (De re rustica 2,4,10); referiert wird hier die überholte Ansicht, dass seine ‚Seele‘, sein ‚Belebtsein‘ (anima) die gleiche Funktion habe wie später das Salz: es halte das Fleisch frisch (...iis animam datam esse proinde ac salem, vgl. NH 8,207). Aus dem Rhonetal importierte Speckseiten und Schinken (De re rustica 2,4,10: Comacinae et Cavarae) werden gerühmt. Anweisungen zu effizienter Zucht und Krankheiten vermeidender Haltung beschließen das Kapitel.

Plinius beschäftigt sich mit Schweinen und Ebern in NH 8,205-214. Den Bedürfnissen der Kaiserzeit entsprechend begnügt er sich nicht mit Biologischem, sondern erwähnt auch besondere, auf Kulinarisches zielende Fütterungsmethoden, z. B. die von Apicius empfohlene Feigenmast, um den Lebergeschmack zu verbessern (ficatum – daher sp. higado und frz. foie ›Leber‹). Nach NH 16,25 ist bei der Mast die Buchecker der Eichel von Steineichen vorzuziehen, da sie das Tier heiter stimme (suem hilarem facit) und somit die Fleischqualität steigere.

Columellas etwa zur gleichen Zeit (wie Plinius’ NH) entstandenen Rei rusticae libri XII entsprechen in vielem dem Werk Varros, der auch gelegentlich zitiert wird (De Suibus  in 7, 9-11). Besondere Aufmerksamkeit gilt der Behandlung von Krankheiten und er empfiehlt dringend, die Tiere im Sommer (per ortum Caniculae) durch entsprechend wasserreiche Weidegründe vor der Hitze zu schützen (7,10,6).

Um die Wende zum 3. Jh. n. Chr. erscheint das Peri zoon idiotētos (De natura animalium) des Claudius Aelianus, wenig systematisch, doch gefüllt mit allerlei Anekdoten und Kuriositäten, meist von früheren Autoren übernommen, z. B. dem Einsatz der Tiere gegen Kriegselefanten (NA 1,1; 8,28), ihr Grunzen und Quieken versetze die Dickhäuter in Panik (auch NH 8,27). Ein Ebervergleich aus Homers Ilias 11,25 dient als Beleg für ein typisches Verhalten des Ebers: das Wetzen der Hauer vor einem Kampf (NA 5,45). Aus spätrömischer Zeit (4./5. Jhdt.) stammt das Opus agriculturae des Palladius, eingeteilt nach den in jedem der 12 Monate zu verrichtenden Arbeiten. Der Schweinehaltung ist 3,26 gewidmet. Er beginnt, ganz wie Columella, mit der Beschreibung des geeigneten Ebers. Eine heute in der Rheinpfalz wieder zum Einsatz kommende Fähigkeit, das meist negativ gesehene Durchwühlen der Weinberge (→ B.2; → C..II.3,b) beschließt das Kapitel. Erwähnenswert auch das Testamentum porcelli aus dem 4. Jhdt. Als Saturnalienscherz zum 17. Dezember verfaßt, gibt es sich als Vermächtnis des Ferkels Marcus Grunnius Corocotta mit detaillierten Anweisungen, wer seine Habseligkeiten, insbesondere seine Körperteile, erhalten soll.

Ausg.: (wird noch ergänzt)

Lit.: K. Winkelstern: Die Schweinezucht im klassischen Altertum, 1933;  H. Dohr: Die italischen Gutshöfe nach den Schriften Catos und Varros, 1965; K. D. White: Roman Farming, 1970; W. Richter: Die Landwirtschaft im homerischen Zeitalter, Archaeol. Homerica II, 1968; H. Meyer/P. R. Franke/J. Schäfer: Das Hausschwein in der griechisch-römischen Antike, 2004; S. Diederich, Römische Agrarhandbücher zwischen Fachwissenschaft, Literatur und Ideologie, 2007;  J. N. Marchant-Forde (ed.), The Welfare of Pigs, 2009.

Wilfried Schouwink

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Schwein – A. Das reale Tier

Schwein (= Hausschwein) und Eber (= Wildeber/Wildschwein) in all ihren Erscheinungsformen begegnen in großer Zahl sowohl in der realen als auch in der fiktionalen Welt des Mittelalters. Obwohl als Metapher oder Symbol Unterschiedliches bezeichnend, werden sie hier, auch aufgrund der engen biologischen Verwandtschaft, gemeinsam dargestellt. Archäologische Befunde zeigen: Seit 8.000 Jahren ist das europäische Wildschwein (sus scrofa) domestiziert, doch bei Verwilderung stellt sich eine rasche Rückbildung zur ursprünglichen Wildform ein. Bejagung und Haltung dieses Tiers in der klassischen Antike sind sowohl durch eine Reihe von Textzeugnissen als auch durch figürliche Darstellungen, z. B. auf Steinfriesen und Münzen, gut dokumentiert. Pflege und Ernährung haben sich im Wesentlichen vom Neolithikum bis zum 18. Jahrhundert kaum verändert. Hauptnahrung neben allerlei Abfällen und Kleingetier sind Eicheln und Bucheckern. Die herbstliche Eichelschütte in der Waldweide ist die Hauptmastzeit. Der dann folgende Wintereinbruch mit seiner Futterverknappung ist die Schlachtzeit. Beide Vorgänge wurden häufig zu Sujets der Bildkunst des Mittelalters, oft in Zyklen der Monatsarbeiten, z. B. auf Kapitellen, Portalgewänden, Buchminiaturen und Holzschnitzereien im Chorgestühl, insbesondere auf den Miserikordien. Auch die Wildform des Schweins hat in allen europäischen Kulturen einen markanten und unübersehbaren Platz gefunden. Der Wildeber als wehrhafter und gleichsam ebenbürtiger Gegner des antiken und mittelalterlichen Jägers schien geradezu geschaffen für den Tatendrang des Mannes. Das aus dem Dickicht des Unterholzes hervorbrechende, stets vorwärts stürmende und nicht zurückweichende Ungetüm ist die entscheidende Herausforderung für den nur mit dem venabulum, der ›Saufeder‹, bewaffneten Jäger. In vielen künstlerischen und literarischen Dokumenten wird die Eberjagd gleichsam zu einem Inititiationsritual für den jungen Helden, z. B. beim erymanthischen Eber des Herkules oder dem mächtigen walisischen Eber Twrch Trwyth, der nicht einmal von König Artus und seinen Männern erlegt werden konnte. Bildliche Darstellungen der Eberjagd finden sich in unübersehbarer Anzahl, angefangen beim großen Eber der Höhlenmalereien von Altamira in Kantabrien (ca. 14.000 v. Chr.) bis zu den Steinfriesen, Fresken und Schnitzereien in und an mittelalterlichen Kirchen oder auch in Randminiaturen liturgischer Handschriften und natürlich im Livre de la Chasse des Gaston Phoebus aus dem späten 14. Jh.

Lit.: H.-D. Dannenberg: Historisches und Histörchen vom Schwein, 1990; H. Meyer/ P. R. Franke/ J. Schäffer: Hausschweine in der griechisch-römischen Antike, 2004; J. Nollé: Schwarzwildjagden im antiken Lykien, 2001; L. Briedermann: Schwarzwild, 21990 (Neuausg. B. Stöcker 2009); R. Hennig: Schwarzwild. Biologie, Verhalten, Hege und Jagd, 72007; M. Pastoureau/ J. Verroust/ R. Buren: Le Cochon. Histoire, symbolique et cuisine du porc, 1987; R. Regnath: Das Schwein im Wald, 2008.

Wilfried Schouwink

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Schwein – B.2 Bibel und Bibelexegese

Aper: Ps 79,14: exterminavit eam (vineam) aper de silva, et singularis ferus depastus est eam. Dies ist der einzige Bibelvers, der den Eber nennt. Die patristische und frühmittelalterliche Auslegungstradition (Augustinus, Enarratio in Ps. 79; Cassiodor, Expositio in Psalmum 79,14 l. 230A., Isidor, Etym., 12.1, 27) ist zusammengefasst in Hrabanus Maurus, De rerum naturis (De universo libri 22,7, PL 111, col. 207 A): »Die Bezeichnung aper erklärt sich aus seiner Wildheit (feritate) wobei das f durch ein p ersetzt wurde […]. Andere sagen, dass der Name daher rührt, dass er in rauen Gegenden (locis asperis, Varro ling. 5,101) zu weilen pflegt. Der Wildeber verweist auf die ungestüme Angriffslust der Fürsten dieser Welt […].« Zugrunde gerichtet (exterminavit) hat er, indem er von Grund and Boden (extra terminos) vertrieb and überall hin zerstreute, was sich ja beim Volk der Juden tatsächlich ereignet hat. Vielleicht müssen wir unter dem Wildeber Vespasian verstehen, der ja in der Tat für die Juden von furchterregender Wildheit war. Durch diesen Tiernamen aber verweist der Psalmist auf etwas, was den Juden zuwider ist, denn dieses Tier scheint unter anderem charakterisiert durch die wilde Unordnung der Wälder, eine Eigenschaft, die in sich wiederum an die Heiden erinnert, die zu Recht mit rauen, unwirtlichen Wäldern verglichen werden, da ihnen bis jetzt noch kein fruchtbarer Same eingepflanzt wurde. Der wilde Einzelgänger aber erinnert an Titus, den Sohn Vespasians, der die Reste des jüdischen Volkes mit solch verheerender Gewalt hinwegraffte, dass es scheinen mußte, als ob er Volk and Stadt wie Futtergras verschlang. Es war jedoch unvermeidlich, dass dies mit dem Weinberg geschah, denn seine Ummauerung war offenbar niedergebrochen. Wenn man schließlich den Wildeber spirituell deutet, dann kann man wegen seiner ungestümen Wildheit und seiner übergroßen Kraft hier ein Bild des Teufels erkennen.

Sus/porcus: Lev 11,7; Dtn 14,8: sus… quoniam dividit ungulam et non ruminat immunda erit; Is 65,4 qui comedunt carnem suillam; Prov 11,22: circulus aureus in naribus suis, mulier pulchra et fatua; Mc 5, 12f; Mt 8,31; Lc 8,23: mitte nos in gregem porcorum; Lc 15,15f: et misit illum in villam suam ut pasceret porcos; Mt 7,6: ne mittatis margaritas vestras ante porcos; 2 Petr 2,22: Sus lota (revertitur) in volutabro luti. Auch hier die Zusammenfassung der patristischen Auslegung nach Hrabanus De rerum naturis (De universo libri 22,7, PL 111, col. 206 Af.): Die Bezeichnung sus leitet sich von der Gewohnheit her, bei der Nahrungssuche den Boden aufzuwühlen (terra subacta escas inquirit). Der Hauseber (verres) heißt so nach seinen großen Kräften (grandes vires). Porcus leitet sich von spurcus (= unflätig, schmutzig) her… Die Schweine sind ein Bild für die Sünder, für Menschen von unreiner Denkungsart oder auch Häretiker, von denen es im Gesetz heißt: ›Weil sie Paarhufer sind und ihre Nahrung nicht wiederkäuen, soll ihr Fleisch von keinem wahren Gläubigen angerührt werden‹ (Dtn 14,8)… Mit den Schweinen werden auch bekehrte Sünder bezeichnet, die wieder nachlässig geworden sind und zu der Lebensweise zurückkehren, die sie gerade noch beweint hatten. So heißt es ja auch im Petrusbrief: ›Der Hund verschlingt sein Erbrochenes von neuem, and die gewaschene Sau wälzt sich wieder in der Suhle.‹ … Das Schwein verweist auch auf Menschen von unreiner and ausschweifender Lebensart. Im Evangelium heißt es: ›Wenn du uns austreiben willst, schicke uns in die Schweine‹ (Mt 8,31), und kurz zuvor: ›Werft eure Perlen nicht vor die Schweine‹ (Mt 7,6). In ähnlicher Weise bezeichnet das Schwein auch unreine Geister. Dazu das Wort des Evangeliums: ›Er schickte ihn (den Verlorenen Sohn) auf sein Landgut, dass er dort die Schweine hüte‹ (Lc 15,15). … Im Bild der Sau ist auch der Sünder zu sehen, der zwar die richtige Einsicht hat, jedoch ein ausschweifendes Leben führt, wie es ja auch bei Salomo heißt: ›Eine schöne, aber zuchtlose Frau ist wie ein Goldreif im Rüssel einer Sau‹ (Prov. 11,22).). Aufgrund seiner Unreinheit gilt das Schwein auch nicht für den Verzehr geeignet.

Lit.: F. C. Sillar/ R. M. Meyler: The Symbolic Pig, 1961; W. Schouwink: Der wilde Eber in Gottes Weinberg, 1985.

Wilfried Schouwink

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