Hund – E.4 – II.3 Gebrauchsschrifttum

In der Gebrauchsliteratur des Mittelalters begegnen Hunde deutlich seltener als Pferde und Beizvögel. Da Hunde sich leicht vermehren und halten lassen, gilt nur dem Jagdhund als speziell trainiertem Helfertier für die gesellschaftlich hoch geschätzte Jagd exklusive Aufmerksamkeit, und dies zunächst auch nur im Kontext des jagdkundlichen Fachschrifttums. Denn Voraussetzung für eine dauerhaft erfolgreiche jagdliche Nutzung der außerordentlich guten Nasenleistung, der Schnelligkeit und Kühnheit des Hundes war seine sorgfältige Ausbildung. Diese Sachlage erklärt den grundsätzlichen Bedarf an Lehrschriften zu Jagdhunden, wobei die Dominanz der praktischen Wissensvermittlung in Berufsjägerkreisen hemmend auf Tendenzen zur schriftlichen Fixierung einwirkte, so dass einschlägige Traktate überhaupt erst ab dem 13. Jahrhundert sicher nachweisbar sind. Über die verschiedenen Aufgaben der Hunde bei der Jagd und ihre daran orientierte Einteilung in Arbeitsschläge informieren zwar bereits die frühmittelalterlichen Volksrechte, doch ist die hier fassbare Variationsbreite innerhalb des deutschsprachigen Gebrauchsschrifttums deutlich reduziert, wo fast nur der Leithund und der Vogelhund vorkommen, weil nur diese Individualisten einer anspruchsvollen Abrichtung bedürfen. Das unterscheidet sie von der Masse der kollektiv (zumeist Rot- und Schwarzwild oder → Hasen) jagenden Meutehunde, deren Einsatz nicht eigens thematisiert wurde.

Im Gesamtspektrum der deutschsprachigen Anleitungsliteratur sind die originären Schöpfungen von den Übersetzungen außerdeutscher Vorlagen zu unterscheiden. Zur ersten Kategorie gehören zwei anonyme Traktate des 15. Jahrhunderts, die Lehre vom Arbeiten der Leithunde und die Lehre von des Hirsches Gescheitheit und seinem Wandel. Beide geben aus reichem praktischem Erfahrungswissen Auskunft über das Hundetraining, insbesondere die Fährtenarbeit vor dem Schuss. Die Lehre von des Hirsches Gescheitheit und seinem Wandel enthält zugleich eine Anzahl Weidsprüche, gereimte Ermunterungen, mit denen der Berufsjäger während der Jagd seinen Hund ansprechen sollte. Komplementär zur zentralen Rolle des Leithundes innerhalb des Weidwerks präsentiert sich der Vogelhund (sog. Beizwind), welcher bei der Beizjagd Niederwild aufstöbert und so den Beizvogel unterstützt. Seiner richtigen Auswahl, Abrichtung und seinem jagdlichen Einsatz im Zusammenspiel mit dem → Habicht gelten Ratschläge am Ende (c. 37-39) der Älteren deutschen Habichtslehre (wohl 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts) aus der Feder eines praxiserprobten Anonymus. Rezipiert wurde dieses Werk in der selbständig bislang unedierten Jüngeren deutschen Habichtslehre (von spätestens 1440; und in dieser Gestalt erfuhr es auch eine vereinzelte Latinisierung) und ergänzend darauf aufbauend in dem 1480 gedruckten Beizbüchlein (von spätestens 1440, hier l. 5). Von der Aufzucht, der alltäglichen Pflege und der Medikation von Krankheiten schweigen alle diese Abhandlungen. Ausschließlich die (Auf-)Zucht von Leithunden behandelt erstmals die originelle Anleitung Wie man jGng laithGndt sol ziechen des langjährigen Hundeknechts im Kloster Tegernsee (Bayern),

Peter Zaler, die damit inhaltlich aus dem Rahmen fällt und zeitlich vielleicht gerade noch in das Mittelalter gehört. Ganz knapp geht auf die → Bären- und Gemsenjagd mit Hunden ein das Tiroler Jagdbuch Kaiser Maximilians I. (gest. 1514).

Im Bereich der Translationen begegnen Verdeutschungen von mittelalterlichen französischen (z. B. Guillaume Tardifs Livre de l’art de faulconnerie et des chiens de chasse durch Johann Wolff, gest. 1600) oder ursprünglich griechischen Abhandlungen (das Kynosophion des Demetrios Pepagomenos, 15. Jahrhundert) über Jagdhunde erst im 16. Jahrhundert. Für Übertragungen von ursprünglich lateinischen didaktischen Schriften über Jagdhunde ins Deutsche existieren im 15. Jahrhundert mehrere Beispiele. So wurde jeweils zweimal unabhängig von einander erstens die anonyme Practica canum (→ C. II.3) in der erweiterten Bearbeitung durch Albertus Magnus (De animalibus, → C. II.2) ins Deutsche übersetzt (durch Werner Ernesti 1404 und Heinrich Münsinger um 1430/40) sowie zweitens das Opus ruralium commodorum des Petrus de Crescentiis (→ C. II.3). Die beiden Albertus-Eindeutschungen beschränken sich auf die Partien über → Pferde, → Beizvögel sowie Hunde und bezeugen damit ein selektives Interesse an höfischen Tieren, wodurch diese Übersetzungen zugleich den enzyklopädischen Charakter ihrer Vorlage abstreiften.

Vereinzelt spielt der Hund außerdem eine Rolle im iatromagischen Schrifttum. Dazu zählen bisher noch nicht systematisch erfasste Segen und Einzelrezepte über Hunde (ihre Heilkräfte, gegen ihren Biss, ihr Bellen etc.) und im weiteren Sinne die Übersetzungen von Medicina-ex-animalibus-Werken ab dem 15. Jahrhundert (→ C. II.3). Als Einsprengsel in Rezeptblöcken tauchen auch hin und wieder Anweisungen zur Medikation einzelner Hundekrankheiten wie der Räude auf.

Ausg.: Die deutsche Habichtslehre. Das Beizbüchlein und seine Quellen, ed. K. LINDNER, 21964; Von Falken, Hunden und Pferden. Deutsche Albertus- Magnus-Übersetzungen aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts 1-2, ed. K. LINDNER, 1962; Das Jagdbuch des Petrus de Crescentiis in deutschen Übersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts, ed. K. LINDNER, 1957; [Lehre vom Arbeiten der Leithunde, in:] Deutsche Jagdtraktate des 15. und 16. Jahrhunderts 2, ed. K. LINDNER, 1959 [, 40-54]; [Lehre von des Hirsches Gescheitheit und seinem Wandel, in:] Deutsche Jagdtraktate des 15. und 16. Jahrhunderts 2, ed. K. LINDNER, 1959 [, 117-27, und nach anderer Überlieferung in:] Die Lehre von den Zeichen des Hirsches, ed. K. LINDNER, 1956 [, 195-97].

Lit.: B. VAN DEN ABEELE: Zum Phänomen der „Relatinisierung“ in der mittelalterlichen Fachliteratur: Die Entstehungsgeschichte der „Jüngeren deutschen Habichtslehre“, Sudhoffs Archiv 81 (1997), 105-19; Ibid. / J. LONCKE: Les traités médiévaux sur le soin des chiens: une littérature technique méconnue, in: Inquirens subtilia diversa, 2002, 281-96; K. AUSSERER: Ein „Tiroler Jagdbuch Kaiser Maximilians I.“, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 56 (1948), 385-417; J. BUGNION: Les chasses médiévales. Le brachet, le lévrier, lépagneul, leur nomenclature, leur métier, leur typologie, 2005; D. DALBY: Lexicon of the Mediaeval German Hunt. A Lexicon of Middle High German Terms (1050-1500), associated with the Chase, Hunting with Bows, Falconry, Trapping and Fowling, 1965; G. EIS: Alte Jägerkunststücke aus unbekannten Handschriften, in: Ibid.: Forschungen zur Fachprosa. Ausgewählte Beiträge, 1971, 271-83 und 413-45; M. GIESE: Zu den Anfängen der deutschsprachigen Fachliteratur über die Beizjagd, Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 125 (2003), 493-522; Ibid.: „Ut canes pulcherrimos habeas...“, die kynologische Hauptvorlage von Albertus Magnus De animalibus, in: Kulturtransfer und Hofgesellschaft im Mittelalter, 2008, 239-70; Ibid.: Die originär deutschsprachigen Werke der mittelalterlichen Falknereiliteratur und ihre wissenschaftliche Erforschung, Würzburger medizinhistorische Mitteilungen 26 (2007), 262-96; Ibid.: Gebell im Kloster Tegernsee. Zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen monastischen Hundehaltung samt einer Erstedition von Peter Zalers Anleitung zur Hundeaufzucht, Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens und seiner Zweige 121 (2010), 109-30; Ibid.: Sebastian Ranck († n. 1528) als Besitzer und Schreiber von Handschriften. Ein Beurener Pfarrer im Dienste Maximilians I., in: Von Sachsen nach Jerusalem, 2004, 345-58; Ibid.: Graue Theorie und grünes Weidwerk? Die mittelalterliche Jagd zwischen Buchwissen und Praxis, Archiv für Kulturgeschichte 89 (2007), 19-59; M. SCHULZ: Beschwörungen im Mittelalter. Einführung und Überblick, 2003.

Martina Giese

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