Schwein – C. – III.1 Fabel

In den äsopischen Fabeln sind Schwein und Eber eher eine Randerscheinung. Bei den 346 Titeln der Edition von Hausrath/ Hunger begegnet das Schwein in 4, der →Fuchs dagegen in 27, der →Wolf in 23, der →Löwe in 23, der →Esel in 22. Der Katalog von Dicke/ Grubmüller mit seinen 655 bibliographierten Titeln enthält 24 Einträge mit einem Eber oder einem oder mehreren Schweine als Akteuren. Hervieuxs Dokumentation der auf Phaedrus zurückgehenden mittelalterlichen Fabelsammlungen führt Schwein oder Eber in 42 von insgesamt 1170 Titeln. 17 davon bieten Versionen der Fabel vom alten, schwachen →Löwen und den respektlosen Tieren, 10 die Anmaßung des →Esels gegenüber dem Eber, 12 die Konfrontation von →Wolf und säugender Muttersau. Hier bietet der hungrige Räuber der mit vielen Ferkeln beschäftigten Sau Entlastung bei ihren Mutterpflichten an, eine Bitte, die höflich, aber bestimmt abgelehnt wird. Letzteres Motiv dürfte auf reale Naturbeobachtung zurückgehen. Die vermutlich älteste schriftliche Fixierung findet sich in Aristoteles’ Historia Animalium VII, 6 595b2, wo im Kontext der Schweinemast unvermittelt die Feststellung folgt: »Es kämpft eine Sau auch mit einem Wolf«. Der auch in den Enzyklopädien aufgenommene Antagonismus von Schwein/Sau und Wolf entwickelt eine beträchtliche Eigendynamik. Die eindrucksvollste Gestaltung findet sich im Schlusskapitel des Ysengrimus (12. Jh.). Die wohl erfolgreichste Popularisierung dieser Feindschaft bieten die Geschichten vom →Wolf und den drei kleinen Schweinchen. In mehreren Varianten belegt ist auch die Avianus–Fabel De apro et coquo. Ein die Feldfrüchte zerstörender Eber wird durch Abschneiden von Ohren und Schwanz bestraft, kehrt jedoch immer wieder zurück und landet schließlich im Kochtopf. Beim Auftragen der Speisen fehlt das vom Koch entwendete Eberherz. Des Diebs überzeugende Erklärung: Ein Tier so starrsinnig und unbelehrbar wie der Eber konnte gar kein Herz haben.

Ausg.: Corpus Fabularum Aesopicarum, I, ed. A. Hausrath/ H. Hunger, 1959/41970; L. Hervieux: Les fabulistes latins, Phèdre es ses anciens imitateurs, II, 1894; Gesta Romanorum, ed. W. Dick, 1890.

Lit.: G. Dicke/ K. Grubmüller: Die Fabeln des Mittelalters und der frühen Neuzeit, 1987.

Wilfried Schouwink

Zurück zu "Schwein / Eber" | Zurück zu "C. Lateinische Literatur" | Zurück zu "C. Lateinische Literatur" - II.3 Gebrauchsschrifttum" | Weiter zu "C. Lateinische Literatur - III.2 Tierepos"