Skorpion – B.2 Bibel und Bibelexegese

Der Skorpion wird in den biblischen Schriften durchgängig negativ bewertet und taucht im AT als Vertreter des Feindlichen und Gefährlichen auf. Im Deuteronomium gehören Skorpione zu den Gefahren der Wüste: In qua erat serpens flatu adurens et scorpio (Dtn 8,15). Die Züchtigung mit Skorpionen im ersten Buch der Könige kann als Schlagen mit Geißeln bzw. gestachelten Peitschen gelesen werden; der Stich des Skorpions kann hier aber auch die Steigerung der Peitschenstrafe bedeuten: Pater meus cecidit vos flagellis ego autem caedam scorpionibus (1Kön 12,11 und 12,14; ebenso in 2Chron 10,11 und 10,14). Im Buch Hesekiel wird das Sitzen auf Skorpionen mit den Angriffen der abtrünnigen Israeliten gleichgesetzt, die als widerspenstiges Geschlecht bezeichnet werden: Et cum scorpionibus habitas verba eorum ne timeas … quia domus exasperans est (Ez 2,6). Der Gewinn einer bösen Frau wird bei Jesus Sirach mit dem Greifen nach einem Skorpion verglichen: Qui tenet illam quasi qui adprehendat scorpionem (Eccl 26,10). Ebenfalls bei Jesus Sirach werden Skorpione als eine der Strafen Gottes für die Gottlosen (impii) aufgeführt: Bestiarum dentes et scorpii et serpentes et romphea vindicans in exterminium impios (Sir 39,36). Die im ersten Makkabäerbuch erwähnten Skorpione sind keine Tiere, sondern antike Torsionswaffen für Pfeile: scorpios ad mittendas sagittas (1Makk, 6,51). Auch im NT ist der Skorpion ein negativ konnotiertes Tier, mit dem Unheil, Schmerz und der Teufel verbunden sind. Im Lukasevangelium werden Skorpione der Gewalt des Teufels zugeordnet, über der die Macht der Jünger steht: Ecce dedi vobis potestatem calcandi supra serpentes et scorpiones et supra omnem virtutem inimici (Luk 10,19). Ebenfalls bei Lukas stehen Skorpione für gefährliche Gaben: aut si petierit ovum numquid porriget illi scorpionem (Luc 11,11-12). Als Zeichen für die endzeitlichen Plagen tauchen Skorpione in der Offenbarung des Johannes auf. Der Skorpionstich wird dort mit den durch die apokalyptischen Heuschrecken verursachten Schmerzen und Qualen verglichen: Et datum est illis ne occiderent eos sed ut cruciarentur … et cruciatus eorum ut cruciatus scorpii cum percutit hominem (Apk 9,5; ähnlich in Apk 9,3).

Die exegetische Tradition deutet den Skorpion überwiegend als Zeichen für häretische Angriffe auf den christlichen Glauben. In der patristischen und frühmittelalterlichen Bibelauslegung erscheint der Skorpion als Symbol der Falschheit und Hinterlist der Glaubensfeinde, daneben auch als Hinweis auf den Teufel und als Stellvertreter für die Laster Zorn und Verzweiflung. Tertullian wandelt in seiner Schrift Scorpiace (Arznei gegen den Skorpionstich) den körperlichen Stich des Skorpions in den geistigen Skorpionstich um. Das Tun der häretischen Valentinianer, die das christliche Martyrium ablehnen, gleiche dem der Skorpione. Beide versuchten zu schaden, zu stechen und zu töten: … tunc Gnostici erumpunt, tunc Valentiniani proserpunt, tunc omnes martyriorum refragatores ebulliunt calentes et ipsi offendere, figere, occidere (Scorp. I,5). Genauso wie Skorpione sollten auch die Häretiker bekämpft werden: At tu, si fides vigilat, ibidem scorpio pro solea anathema inlidito et relinquito in suo pure morientem (Scorp. I,9). Augustinus vergleicht in seiner Auslegung von Lukas den Skorpion mit der Hoffnungslosigkeit. Den guten Gaben Fisch, Ei und Brot entsprechen nach Augustinus die Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe, denen Schlange, Skorpion und Stein entgegengesetzt sind. Zu fürchten sei der vergiftete Stachel des Skorpions, der sich rückwärts wendet, während sich die Hoffnung auf das Zukünftige richtet: In ovo intellegitur spes ... cui contrarium posuit scorpionem, cuius aculeus venenatus retro timendus est, sicut spei contrarium est retro respicere ... (Quaest. evang. 2,22; ebenso Augustinus in seinem Brief an die Witwe Proba; epist. 130, VIII,16). Mit dem Zorn vergleicht Augustinus den Skorpion in seiner Predigt über den Märtyrer Stephanus: Ira enim scorpio est (serm. 315: in solemnitate Stephani martyris, cap. VI,9, Migne PL 38, Sp. 1430). Gregor der Große verbindet in seinen Hesekielhomilien den Skorpion mit den Schmeichlern und Hinterlistigen, die wie der Skorpion ihr tödliches Gift im Geheimen verbreiten würden:  Scorpio enim palpando incedit, sed cauda ferit; nec mordet a facie, sed a posterioribus nocet. Scorpiones ergo sunt omnes blandi et malitiosi, qui… quaeque possunt noxia immittunt, mortifera inferre occulte non desinunt (in Ezech., lib. I, Homilia IX,21). Gregor begreift den Skorpion als Verleumder, Heuchler und Ungläubigen: Increduli quippe simul et subversores et scorpiones sunt, quia et audita ea quae Dei sunt non credunt… (ebd.). Beda Venerabilis vergleicht in seiner Auslegung des Lukasevangeliums Schlangen, die mit den Zähnen beißen, und Skorpione, die mit dem Schwanz stechen. Während erstere diejenigen bezeichnen, die offen wüten, stehen Skorpione für Menschen oder Dämonen, die im Geheimen agieren: Hoc sane inter serpentes qui dente et scorpiones qui cauda nocent distare arbitror quod serpentes aperte saevientes scorpiones clanculo insidiantes vel homines vel daemones significent ... (Expos. in Luc. III, ed. Hurst, S. 219). Bei Hrabanus Maurus repräsentiert der Skorpion den Teufel selbst oder dessen Helfer: Scorpio diabolum significat vel ministros, und durch ihn wird die Verzweiflung abgebildet: ... et in scorpione desperatio exprimitur (De universo, lib. VIII, cap. 3: de serpentibus; Migne PL 111, Sp. 232).

Ausg.: Biblia Sacra iuxta vulgatam versionem, Stuttgart 1994; Tertulliani Scorpiace, hg. v. A. Reifferscheid, G. Wissowa (CSEL 20), Wien 1890; Sancti Aurelii Augustini Quaestiones evangeliorum cum appendice quaestionum XVI in Matthaeum, hg. von A. Mutzenbecher (CCSL 44B), Turnhout 1980; Sancti Aurelii Augustini epistulae CI-CXXXIX, hg. von K. D. Daur (CCSL 31B), Turnhout 2009; Sancti Gregorii Magni Homiliae in Hiezechihelem prophetam, hg. von M. Adriaen (CCSL 142), Turnhout 1971; Bedae Venerabilis Opera II,3: Opera exegetica (In Lucae evangelium expositio, in Marci evangelium expositio), hg. von D. Hurst (CCSL 120), Turnhout 1960.

Lit.: L. Aurigemma: Le signe zodiacal du scorpion dans les traditions occidentales de l'Antiquité gréco-latine à la Renaissance, 1976; M. Bulard: Le scorpion, symbole du peuple juif dans l'art religieux des XIVe, XVe, XVIe siècles. A propos de quatre peintures murales de la chapelle Saint-Sébastien, à Lanslevillard (Savoie), 1935; L. Kretzenbacher: Zum Skorpion als Judenzeichen zwischen Bayern und der Steiermark, Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde (1997), 99-113.

Ramona Sickert

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