Schwein – C. – II.3 Gebrauchsschrifttum

a) Schweinehaltung

Die umfangreichsten Ausführungen finden sich bei VB (Spec. Nat. XVIII, 78-86). Jedoch, typisch für VB, hat er seine Kompilation aus antiken und mittelalterlichen Autoren kaum redigiert, so dass sich sowohl Widersprüche als auch zahlreiche Doppelungen ergeben. Anders dagegen das höchst erfolgreiche, nach 1300 vollendete Werk des Petrus de Crescentiis (PdC) Ruralia Commoda (mehrere Übersetzungen ins Deutsche und zahlreiche Drucke). Cap. IX, 77,1 beginnt, Varro und dem im Mittelalter weitverbreiteten spätantiken Opus agriculturae des Palladius folgend, mit der Auswahl geeigneter Eber (9,77,8 vasti et ampli corporis,ventre et clunibus magnis, libidinosi …) und Zuchtsauen. Für die Haltung empfiehlt der Autor Feuchtgebiete mit gutem Bestand an fruchttragenden Bäumen nebst Binsen und Schilf zum Wühlen nach Wurzelwerk. Bei winterlicher Nahrungsknappheit sind Eicheln, Kastanien und Reste von Feldfrüchten zuzufüttern. Schweineställe sind unter Vordächern einzurichten, für jede Sau und ihren Wurf einzeln und nach oben offen, damit der Hirte leicht die Anzahl der Ferkel kontrollieren kann. Die Einstreu, bestehend aus Sand oder anderem saugfähigem Material wie Heu oder Stroh, ist regelmäßig zu erneuern.

b) Verwertung

Die pflegerische Sorgfalt dient selbstredend weniger dem Wohlbefinden des Tieres als vielmehr der Produktion eines sapor iucundus (PdC). Der Nutzen (commodum) artgerechter Haltung wird sinnlich fassbar. Alle Teile des Schweins sind verwertbar. Fette eignen sich sowohl zur Zubereitung von Speisen als auch für medizinische Zwecke, Schwarte und Borsten dienen dem Schuster. Ein geschickter Landwirt und Weinbauer weiß sogar das oft als destruktiv empfundene Wühlen nützlich einzusetzen. Vor dem Austrieb und nach der Weinlese, wenn das Gras nachgewachsen ist (vineis necdum turgentibus, vindemia exacta, gramine persecuto, Palladius und PdC), schickt er die Schweine in den Weinberg zur Bodenbearbeitung. Der widergöttliche Weinbergzerstörer aus Ps 79, 14 wird somit, wenn dienstbar gemacht, geradezu ins Gegenteil verkehrt.

c) Krankheiten

TC, AM, BA, VB, nicht PdC, nennen – Aristoteles, HA 603a30-604a3, folgend – drei Krankheiten, branchos, mit Milzbrandsymptomen wie Schwellungen an Ohren, Maul und Füßen sowie heiserem Husten, der schließlich die Lunge einbezieht und zum Tode führt, ponderositas et dolor capitis, möglicherweise eine Form der Schweinepest, und fluxus ventris (foria bei Varro), eine tödlich verlaufende Durchfallerkrankung.

d) Das Schwein als Lieferant von Heilmitteln

Schweinefleisch gilt nach der Humoralpathologie als heiß und feucht (vgl. Hildegard von Bingen, Physica, 7,17, auch AM und VB), kann Kranken und Schwachen zur Kräftigung dienen, sollte aber wegen der humoralen Ähnlichkeit mit dem menschlichen Organismus in Maßen genossen werden (Hildegard von Bingen, Physica, 7,17,15f.). Differenzierter dagegen VB, der, in Anlehnung an TC, nur vor dem allzu feuchten Sommerfleisch warnt. VB referiert, Plinius, Dioskurides (40–90) sowie die persischen Ärzte Avicenna (980-1037) und Hali Abbas (10. Jhdt.) zitierend (letzteren nach der lat. Übersetzung Liber regalis dispositionis Stephans von Pisa von 1127), zahlreiche aus allerlei Schweinesubstanzen bestehende Rezepturen. Galle, Schmalz, veraschte Knochenteile, Dung und Urin, oft vermischt mit Essig und Wein, sollen Linderung verschaffen bei einer Vielzahl von äußeren und inneren Erkrankungen: Wildschweinleber, mit Essig vermischt verzehrt, soll bei Schlangenbissen nützen. Veraschte Lunge von Schwein und Lamm ist bei Abschürfungen am Schienbein gut. Die Milch der Sau hilft bei Durchfallerkrankungen wie der Dysenterie (Ruhr). Mit Mulsum (gepfeffertem Honigwein) vermischt erleichtert sie das Gebären. Unvermischt getrunken fördert sie die Bildung der Muttermilch (VB Spec. Nat. 18,6,83,86). Eine selbständige Sammlung einschlägiger Heilmittel findet sich im Liber medicinae ex animalibus des Sextus Placitus (4. Jh.): cap. 7: De apro (›Über das Wildschwein‹).

 e) Jagdtechniken

Die klassische Jagdwaffe ist das seit der Antike gebräuchliche venabulum, die ›Saufeder‹, der ›Sauspieß‹. Ihre Gestalt und ihre Anwendung erläutert PdC in cap. 10,21,2: pili fortes in ferro cruciferati. Hier wird zum ersten Mal die bis heute übliche charakteristische Kreuzform der Spitze beschrieben, die durch den unter dem Blatt angebrachten und als Knebel dienenden Querstab entsteht. Zum erfolgreichen Einsatz ist die Hilfe von starken, das Wild stellenden Jagdhunden erforderlich. Sie kommt auch heute noch zur Anwendung, verlangt aber höchstes Geschick auf Seiten des Jägers (vgl. L. Briedermann in Lit. zu A). Weitere von PdC beschriebene Techniken sind das Fangen in Netzen und Fallgruben (PdC, 10,22 und 25,2). Letzteres erfordert eine Treibjagd und als Vorbereitung das Einzäunen eines gut gefüllten Futterplatzes mit einem bequemen Eingang zur einen Seite und einer Absenkung des Zaunes an der gegenüberliegenden Seite, hinter dem sich dann die Fallgrube befindet.

Ausg.: Petrus de Crescentiis: Ruralia Commoda, ed. W. Richter, 4 Bde., 1995-2002 (über Schweinezucht in Bd. 3: 9,77); moderne Übers.: Erfolgreiche Landwirtschaft, übers. B. K. Vollmann, 2007f.; Hildegardis Bingensis, Physica, ed. R. Hildebrandt/Th. Gloning, 2010; Libri medicinae Sexti Placiti Papyriensis ex animalibus pecoribus et bestiis vel avibus Concordantia, ed. M. P. Segolini, 1998.

Lit.: H. Rex: Die lateinische Agrarliteratur, 2001; J. Schäffer: „porci habent squinantiam“ (Ibn Sina). Ein Beitrag zur Geschichte der Schweineheilkunde im Mittelalter, Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 100 (1993), 211-218; online-Agrarlexikon der Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft (www.agrarlexikon.de): Art. Schwein.

Wilfried Schouwink

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