Pferd – A. Das reale Tier

Das Pferd ist seit dem 4.-3. Jt. vor Chr. domestiziert, und es wird bereits Mitte des 4. Jt. vor Chr. durch die Indogermanen nach Westeuropa eingeführt. Im (west)europäischen Mittelalter ist das Pferd von vielfältigem Nutzen als Kampf-, Reise-, Jagd-, Last- und Zugtier; auch im mittelalterlichen Kurierwesen wird es eingesetzt. In vorchristlicher Zeit ist der Genuss von Pferdefleisch noch durchaus üblich, nach der Christianisierung jedoch war das Essen von Pferden nur noch in Hungersnöten erlaubt; materiell verwertbar bleibt das Pferd daher nur für die Herstellung von Leder und Seilen. Dies erklärt wohl auch, warum es in der Landwirtschaft die billigeren und nach ihrem Tod vielfältig verwendbaren Ochsen (→ Rind) beim Pflügen und als Zugtier nie völlig ablösen konnte. Außerdem ist das Pferd wichtig für die Zucht von Maultieren und Mauleseln, welche die Genügsamkeit des → Esels mit der Kraft des Pferdes verbinden. In der Zeit der Kreuzzüge wurden persische, türkische, arabische, berberische und andere Pferde nach Europa gebracht; beliebt sind aber auch dänische, ungarische und spanische Pferde, so dass man von einem internationalen Pferdehandel sprechen kann. Pferde sind im Mittelalter ein Statussymbol. Im Rahmen einer ritterlichen Kultur spielen Pferde selbstverständlich eine zentrale Rolle, was sich z.B. in der Ausdifferenziertheit des hippologischen Wortschatzes spiegelt (siehe dazu die Artikel zur Terminologie in den einzelnen Philologien), aber auch in einem Gebrauchsschrifttum, das heilkundliche Pferdesegen und sog. „Rossarzneien“ umfasst (siehe dazu die Artikel zum Gebrauchsschrifttum in den einzelnen Philologien). Die gute Versorgung der Pferde gehört auch zu den Pflichten eines Gastgebers. Der materielle Wert eines Pferdes differiert je nach Art und Qualität des Pferdes (siehe z.B. die Wehrgeld- bzw. Preistabellen bei Blaschitz, 24-26 und Hyland, 42). In jedem Fall ist das Pferd aber eher ein Luxusartikel und wird daher gern als wertvolles Geschenk oder auch als Zahlungsmittel eingesetzt. Pferdediebstahl ist im Mittelalter nicht ungewöhnlich und ein schweres Delikt; Pferdeverlust (sei es durch Diebstahl oder durch Krankheiten bzw. Epidemien) ist stets ein schwerer Schlag. Die Bedeutung des Pferdes für den mittelalterlichen Menschen wird auch daran sichtbar, dass das Pferd Eigennamen erhält (im täglichen Umgang wie auch in der Literatur) und dass ganze ›Berufszweige‹ rund um das Pferd entstehen: Das Amt des Marschalls, der die Aufsicht über den Reitstall und das Transportwesen hat, gehört in Deutschland seit den Ottonen zu den vier klassischen Hofämtern; überdies beschäftigt das Pferd den Schmied sowie die Hersteller von Reitzeug und Pferdeschmuck.

Lit.: G. Blaschitz: Das Pferd als Fortbewegungs- und Transportmittel in der deutschsprachigen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Medium Aevum Quotidianum 53 (2006), 17-43; A. Hyland: The Horse in the Middle Ages, 1999; Le cheval dans le monde médiéval, hg. v. Centre Universitaire d’Études et de Recherches Médiévales, 1992; Pita Kelenka: The Horse in Human History, 2009; J. Schwerdt: Hipponymie. Zu Benennungsmotiven bei Pferdenamen in Geschichte und Gegenwart, in: Beiträge zur Namenforschung 42,1 (2007), 1-43 [zu den Eigennamen].

Gertrud Blaschitz / Sabine Obermaier

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