Schwalbe – E.4 – IV.2 Lyrische Texte

Auch in der mittelhochdeutschen Lyrik kann die Schwalbe zunächst als stereotyper Sing-Vogel gesehen werden – etwa in Ich hab mich underwunden (KLD Nr. 28 1, Der Kanzler) oder beim Kol von Niunzen: Ich hôrt den süezen sanc / von einer swalwen dâ si flouc, ir stimme diu was guot (KLD Nr. 29 1 I,2-3. Hier wird die Schwalbe zum Initiator eines pastourellenähnlichen Liebesgeschehens stilisiert. Daneben hat das Schwalbenmotiv durch das sogenannte Nachtigallenlied Heinrichs von der Morungen auch eine spezifischere Berühmtheit erlangt: Ez ist site der nahtegal, / swanne sî ir liep volendet, sô geswîget sie. / dur daz volge aber ich der swal, / diu durch liebe noch dur leide ir singen nie verlie (MF 127,34–37). Die Bedeutung des Schwalbenmotivs in diesem Lied ist insofern ungewöhnlich, als sie zu einem Sinnbild des richtigen Singens wird. Sie, nicht der Sängervogel schlechthin, die Nachtigall, verkörpert das dichterische Ideal der stæte und wird zum Vorbild, anstatt dass sie als plappernd, schwatzhaft oder schreiend (wie in der naturkundlichen Tradition üblich, vgl. C. II.2) beschrieben würde. Schon von Sokrates wird die Schwalbe in Platons Phaidon neben Sängervogel-Prototypen, hier den Singschwan, gestellt – dies zusammen mit Nachtigall und Wiedehopf, was genau dieselbe Vogel-Konstellation ergibt, mit der Ovids Metamorphose von Procne und Philomela endet. Die Vorstellung vom sängerischen Durchhaltevermögen könnte Morungens Schwalbe auch aus dieser Tradition zukommen, wenngleich es dem ovidianischen Mythos zufolge ein visuelles Merkmal ist (die blutroten Federn der Rauchschalbe), das die Erinnerung für die Nachwelt aufrecht erhält, und nicht der auditiv wahrnehmbare Gesang, der das Sänger-Ich bei Morungen unvergessen macht.

Häufiger übernimmt die Schwalbe in Vergleichen den negativen Part, gerade wenn es um die Sangeskunst geht. So hebt eine Sangspruchstrophe Rumelants von Sachsen zwar ihre Flugkünste gar gegen die des Falken hervor (Schnelligkeit der Schwalbe als Motiv auch beim Kanzler, KLD I,6), bevor beschrieben wird, wie Lerche und Nachtigall unter der quietschenden Imitation ihres Gesangs durch die Schwalbe leiden: Die swalwe vêt die mücken, vor den valken es sie bâget. / den ertvluc unde swippersweif kann sie baz üeben. / ir arme quitel, zwitter, schorfen, snarz ouch sange lâget, / sie will mit listen aller vogele dœne prüeben. / die lerche und ouch die nachtegal die müezen von der swalewen / verdulden spot […] (Rumelant, IV,18 1-6).

Im Sangspruch liegt insgesamt eine etwas andere Akzentuierung des Motivs vor: So steht sie Stackmann zufolge etwa in Frauenlobs Flugton für die sanfte Tarnung, die sich der gierige Habicht gibt: swa lieb uf habeche vürt der swalwen zagel, / valsch ist ir phat. (Frauenlob, VI,10 9-10), was wiederum ein Bild für die gefährliche Liebe ist. Eine ähnliche Metaphorik für Falschheit mit genau denselben Reimen findet sich in Walthers König Friedrichs-Ton: Der swalwen zagel (L 29,11) wird zum Bild für das heimliche Kreuzen der Finger des ›schlechten Mannes‹ beim Schwur bzw. für den Meineid.

Überdies findet sich gern das Motiv des Hausbauens, so in den mehrfach überlieferten Versen Neidharts, der sich – im Gegensatz zu diesem Vogel – als obdachlos, also ›fahrend‹ stilisiert: ein swalb chlent von laim / ein huselin, / da si inne ist / des sumer ein vil churziu vrist. / got vuege mir hous mit obedache […]. (Neidhart, R 54,VII, 3-7). In nicht-lyrischen Texten wird das Motiv vom Nestbau der Schwalbe an dafür geeigneten Häusern oft verbunden mit ihrer Gabe der Voraussicht (auch etwa bzgl. des Wetters). Der Meißner dagegen nutzt den Vergleich mit der häuserbauenden Schwalbe in seiner Schelte an den fahrenden loterritter, der auch derart ›listig baue‹ und gern schon wieder verschwunden sei, wenn man ihn brauche (Meißner, XX, Str. 1 u. 2). Die Gabe der Schwalbe zur Voraussicht dient dagegen dem Bruder Wernher als positives Vorbild für den Menschen, der den göttlichen Plan verkenne: Nu scouwet wel eyn sunder art der stork irkennet syne tzit / diu kleyne swale und ouch der swan swen ez ym kegen dem tode lit / der tumme mensche irkennet nicht den der in gebildet hat (Bruder Wernher, J 24,1-3).

Ausg.: Bruder Wernher, ed. V. Spechtler, 1984, Bd. II, 16; Deutsche Liederdichter des 13. Jahrhunderts (= KLD), ed. C. v. Kraus, 1978. Bd. I, 185 u. 218; Des Minnesangs Frühling (= MF), ed. H. Moser/H. Tervooren, 1988. Bd. I, 247. Der Meißner der Jenaer Liederhandschrift, ed. G. Objartel, 1977, 235; Frauenlob: Leichs, Sangsprüche, Lieder, ed. K. Stackmann u. K. Bertau, 1981. Bd. II, 854; Neidhart: Lieder, ed. I. Bennewitz, Bd.I, 370; Rumelant von Sachsen, ed. H. Runow, 2011, 91; Walther von der Vogelweide: Spruchlyrik, ed. G. Schweikle, 1994, Bd. I, 138.

Lit.: E. Hochkirchen : Präsenz des Singvogels, 2015, i.E.; F. Kragl: Schwalbengesang, in: Vom Verstehen deutscher Texte, 2001, 55-81; S. Obermaier: Von Nachtigallen und Handwerkern, 1995, S. 63; K. Stackmann u. K. Bertau: Apparate, Erläuterungen zu Frauenlob: Leichs, Sangsprüche, Lieder, ed., 1982. Bd. II, 546 ; G. Schweikle: Kommentar zu Walther von der Vogelweides Spruchlyrik, 1994, 385-386.

Eva-Maria Hochkirchen