Lieder-Edda: Die Grímnismál 32 der Lieder-Edda nennt das wohl prominenteste Eichhörnchen in der nordischen Mythologie: Ratatoskr heitir íkorni er renna skal at aski Yggdrasils, ›Ratatoskr heißt das Eichhörnchen, welches auf der Esche Yggdrasill herumspringt‹. Das Tier dient als Botschafter zwischen einem mächtigen Adler in der Krone des Baumes und der zerstörerischen Schlange Níðhöggr, welche an den Wurzeln der Esche nagt.
Prosa Edda: Snorri Sturluson fügt in der Gylfaginning 16 weiter hinzu, dass Ratatoskr durch die Übermittlung von gegenseitigen Botschaften Streit und Zwietracht zwischen Adler und Schlange sät. Indirekt trägt das Eichhörnchen damit zur Gefährdung des Weltenbaumes bei; und es folgt gleichzeitig dem in der isländischen Sagaliteratur häufig verwendeten Muster des verbalen Anstifters, welcher zumeist durch Personen (oder in diesem Fall durch ein Tier) von geringem Status repräsentiert wird.
Sagaliteratur: Die Isländersagas weisen auf die häufige Bejagung des Eichhörnchens hin, welches auf der skandinavischen Halbinsel und in Dänemark weit verbreitet war (nicht jedoch auf Island und den Färöer-Inseln), was auch durch den häufigen Ortsnamen íkornaskógr ›Eichhörnchenwald‹ in Nordskandinavien verdeutlicht wird. Snorri Sturlusons Ólafs saga hins helga überliefert in Kapitel 94 in einer scherzhaften Anekdote Details zur Eichhörnchenjagd: die Tiere wurden im Winter mit Pfeil und Bogen gejagt, die Pelze von den Jägern auf Schlitten transportiert. Während seine Jagdexpedition zunächst erfolgreich verläuft, wird der Värmländer Atti in der Ólafs saga hins helga von einem besonders hartnäckigen Eichhörnchen zum Narren gehalten und verliert am Ende seinen bereits schwer mit Fellen beladenen Schlitten.
Ausg.: Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern, I: Text, ed. G. Neckel/H. Kuhn,5 1983; Heimskringla. Snorri Sturluson, Vol. 2, ed. B. Aðalbjarnason, 1945; Snorri Sturluson: Edda, Vol. 1-3, ed. A. Faulkes2 2005.
Lit.: J. Lindow: Norse Mythology, 2001, 259; R. Cleasby / G. Vigfusson: An Icelandic-English Dictionary2, 1957, 156; H. Reichstein/H.Beck: Eichhörnchen, RGA 6 (1986), 536-537; R. Simek: Religion und Mythologie der Germanen, 2003.
Verena Hoefig
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