Als größte Vertreter der Ordnung Sperlingsvögel und in der Familie der Corvidae zusammengefasst sind Rabenvögel (Raben und Krähen) über die gesamte Nordhalbkugel weit verbreitet und gehören zu den intelligentesten Vögeln, oft mit guter Fähigkeit zu sprachlicher Imitation. An Knochenfunden erbringbare Nachweise zum Vorkommen von Kolkraben, Raben-, Nebel- und Saatkrähen sind ab dem Mesolithikum (9.-5. Jt. v. Chr.) für Nord- und Mitteleuropa vorhanden, wobei Corvidenknochen innerhalb aller an Siedlungsplätzen geborgenen Wildvogelknochen eher einen geringen Anteil einnehmen. Ausnahmen bestehen für Burganlagen wie Danebury in Hampshire/England und Eketorp in Schweden sowie für frühe Handelsorte, wie etwa Haithabu/Hedeby, wo die relativ große Fundmenge an Kolkrabenknochen Hinweise auf zahme Individuen oder eine regelmäßige Bejagung gibt. In mindestens 12 eisenzeitlichen Siedlungen oder Wallanlagen auf den Britischen Inseln wurden Corvidenknochen gefunden, und eine noch größere Menge in Funden aus römischer Zeit, welche teils zusammen mit Hunde- oder auch Hauskatzenknochen bestattet wurden, dies in möglicherweise kultischen Zusammenhang. Parallelen hierzu finden sich auch in Italien (Altino), Manching in Bayern, und dem Poseidon-Heiligtum in Palavria, Griechenland.
Neben dem auf dem europäischen Festland häufigen Kolkraben Corvus corax, sowie Aaskrähen Corvus corone (Nebelkrähen östlich der Elbe, Rabenkrähen im Westen) waren in Skandinavien im Mittelalter noch zwei weitere Unterarten verbreitet: Corvus corax varius Brünich auf Island und den Färöern, sowie Corvus corax principalis Ridgway in Grönland und auf Island. Beide Unterarten waren morphologisch durch ein weißes Gefieder ausgeprägt, gelten aber seit Ende des 19. Jh. als ausgestorben.
In der altisländischen Gesetzessammlung der Grágás werden Raben als Schädlinge und Aasfresser definiert, welche zur Jagd freigegeben, aber nicht essbar sind (Landabrigðisþáttur 50, Kristianna Laga Þáttur 34). Auf den Färöer-Inseln wurden Männer im Alter von 15 bis 50 Jahren sogar verpflichtet, jährlich mindestens einen Raben zu jagen, um die Anzahl getöteter Lämmer zu verringern – eine Praktik, die in Olaus Magnus’ Historia de gentibus septentrionalibus aus dem 16. Jahrhundert auch für Island erwähnt wird. In Kontrast hierzu erwähnt Pierre Belon in L'histoire de la nature des oyseaux 1555, dass das Töten von Raben in England hart bestraft wurde, da sie als Beseitiger von Aas für nützlich gehalten wurden. Eine andere Erklärung für dieses Verbot findet freilich Miguel de Cervantes in Don Quixote de la Mancha: da König Arthur sich in einen Raben verwandelt habe und die Bevölkerung seine Rückkehr erwarte, dürften Rabenvögel nicht getötet werden, eine Ansicht, die sich in Cornwall und Wales bis in das 19. Jh. hielt.
Ausg.: Belon, Pierre, L'histoire de la nature des oyseaux, ed. P. Glardon, 1997, 279; Grágás, ed. M. Árnason et al. 1992, 34 und 349; Miguel de Cervantes, Don Quixote de la Mancha, ed. R.M. Flores, 1988, 109; Olaus Magnus, Historia de gentibus septentrionalibus, ed. J. Granlund, 1972, 149.
Lit.: J. Bernström: Korp, Kulturkistorisk leksikon for nordisk middelalder 9 (1964), 168; W. Epple: Rabenvögel. Göttervögel – Galgenvögel, 1996; W. Heizmann/H. Reichstein: Rabenvögel, RGA 24 (2003), 42; H. Pieper/H. Reichstein: Untersuchungen an Skelettresten, 1986, 82-84; B. Sax: Crow, 2003; D. Serjeantson / J. Morris: Ravens and Crows in Iron Age and Roman Britain, Oxford Journal of Archaeology 30.1 (2011), 85-107.
Verena Hoefig