Während die Ameise in der Fabel als Einzelwesen auftritt, erscheint sie im Tierepos (wenn überhaupt) gleich im Massenverband ihrer Artgenossinnen; dies schließt jedoch nicht aus, dass (entgegen der biblischen Tradition [Prv 6,7]) nicht doch Führungspersönlichkeiten herausgestellt werden. Heinrich der Glichesaere lässt in seinem Fuchs Reinhart den → Löwenkönig Vrevel mit usurpatorischen Absichten über einen Ameisenhaufen herfallen und ihn zerstören. Der Herrscher der Ameisen, der auch noch über tausend weitere Ameisenburgen gebietet, kriecht aus Rache in Vrevels Ohr und von dort ins Hirn und verursacht dem Löwen unerträgliche Schmerzen; erst Reinhart, der die Attacke des Ameisenherrschers beobachtet hat, kann Vrevel mit einer List von seinem Leid befreien. Der Ameisenherrscher kann sein Leben nur retten, indem er dem → Fuchs alle seine Burgen unterstellt. Als historischen Hintergrund für diese Episode hat man die staufische Burgenpolitik, insbesondere die Zerstörung der elsässischen Burg Girbaden (1162) und die Eroberung Mailands (1158 oder 1162), erwogen.
In Rollenhagens Froschmeuseler sind die Ameisen als betrügerische Bergleute (schon Herodot kennt Gold grabende Ameisen) tätig, die den Fuchs um einen Großteil seines Vermögens bringen. Als eigenständige Protagonisten treten die Ameisem in Teofilo Folengos Ameisen- und → Mückenkrieg auf. In dieser von Hans Christoph Fuchs auch ins Deutsche übertragenen Epenparodie, die in der Tradition der Batrachomyomachia steht, werden die militärischen Führer der Ameisen durch Eigennamen individualisiert.
Ausg.: Der Reinhart Fuchs des Elsässers Heinrich, ed. K. DÜWEL, 1984; Georg Rollenhagen: Froschmeuseler, ed. D. Peil, 1989; Hans Christoph Fuchs: Mückenkrieg, ed. F. W. Genthe, 1833.
Lit.: U. SCHWAB: Zur Datierung und Interpretation des Reinhart Fuchs, 1967,bes. 127-135; S.WIDMAIER: Das Recht im »Reinhart Fuchs«, 1993, bes. 130-139; J.-M. PASTRÉ: Folklore et renardie dans le Reinhart Fuchs: la destruction de la fourmilière et la structure des contes merveilleux, Reinardus 11 (1998), 149-160; G. RIEDL: ... deren beyspiel man sol volge thun. Das satirische Tierepos als lehrhaftes Geschichtsexempel: Der Mückenkrieg des Hans Christoph Fuchs (1600). In: Tierepik und Tierallegorese (2004), 279-298.
Dietmar Peil
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