Schwein – A. Das reale Tier

Schwein (= Hausschwein) und Eber (= Wildeber/Wildschwein) in all ihren Erscheinungsformen begegnen in großer Zahl sowohl in der realen als auch in der fiktionalen Welt des Mittelalters. Obwohl als Metapher oder Symbol Unterschiedliches bezeichnend, werden sie hier, auch aufgrund der engen biologischen Verwandtschaft, gemeinsam dargestellt. Archäologische Befunde zeigen: Seit 8.000 Jahren ist das europäische Wildschwein (sus scrofa) domestiziert, doch bei Verwilderung stellt sich eine rasche Rückbildung zur ursprünglichen Wildform ein. Bejagung und Haltung dieses Tiers in der klassischen Antike sind sowohl durch eine Reihe von Textzeugnissen als auch durch figürliche Darstellungen, z. B. auf Steinfriesen und Münzen, gut dokumentiert. Pflege und Ernährung haben sich im Wesentlichen vom Neolithikum bis zum 18. Jahrhundert kaum verändert. Hauptnahrung neben allerlei Abfällen und Kleingetier sind Eicheln und Bucheckern. Die herbstliche Eichelschütte in der Waldweide ist die Hauptmastzeit. Der dann folgende Wintereinbruch mit seiner Futterverknappung ist die Schlachtzeit. Beide Vorgänge wurden häufig zu Sujets der Bildkunst des Mittelalters, oft in Zyklen der Monatsarbeiten, z. B. auf Kapitellen, Portalgewänden, Buchminiaturen und Holzschnitzereien im Chorgestühl, insbesondere auf den Miserikordien. Auch die Wildform des Schweins hat in allen europäischen Kulturen einen markanten und unübersehbaren Platz gefunden. Der Wildeber als wehrhafter und gleichsam ebenbürtiger Gegner des antiken und mittelalterlichen Jägers schien geradezu geschaffen für den Tatendrang des Mannes. Das aus dem Dickicht des Unterholzes hervorbrechende, stets vorwärts stürmende und nicht zurückweichende Ungetüm ist die entscheidende Herausforderung für den nur mit dem venabulum, der ›Saufeder‹, bewaffneten Jäger. In vielen künstlerischen und literarischen Dokumenten wird die Eberjagd gleichsam zu einem Inititiationsritual für den jungen Helden, z. B. beim erymanthischen Eber des Herkules oder dem mächtigen walisischen Eber Twrch Trwyth, der nicht einmal von König Artus und seinen Männern erlegt werden konnte. Bildliche Darstellungen der Eberjagd finden sich in unübersehbarer Anzahl, angefangen beim großen Eber der Höhlenmalereien von Altamira in Kantabrien (ca. 14.000 v. Chr.) bis zu den Steinfriesen, Fresken und Schnitzereien in und an mittelalterlichen Kirchen oder auch in Randminiaturen liturgischer Handschriften und natürlich im Livre de la Chasse des Gaston Phoebus aus dem späten 14. Jh.

Lit.: H.-D. Dannenberg: Historisches und Histörchen vom Schwein, 1990; H. Meyer/ P. R. Franke/ J. Schäffer: Hausschweine in der griechisch-römischen Antike, 2004; J. Nollé: Schwarzwildjagden im antiken Lykien, 2001; L. Briedermann: Schwarzwild, 21990 (Neuausg. B. Stöcker 2009); R. Hennig: Schwarzwild. Biologie, Verhalten, Hege und Jagd, 72007; M. Pastoureau/ J. Verroust/ R. Buren: Le Cochon. Histoire, symbolique et cuisine du porc, 1987; R. Regnath: Das Schwein im Wald, 2008.

Wilfried Schouwink

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