Ameisen werden von Aristoteles (HA 488a7-10) zusammen mit Bienen, Wespen, Kranichen und Menschen zu den „sozialen Tieren“ (ζῷα πολιτικά, zōa politika) gezählt. Bereits Platon (Phaidon 82b6f.) bezeichnete Bienen, Wespen und Ameisen als Angehörige eines πολιτικὸν καὶ ἥμερον γένος (politikon kai hēmeron genos), also einer „sozialen und zahmen Art bzw. Gattung“. Ein wichtiger Unterschied der Ameisen gerade auch zu den Bienen liegt allerdings in der Organisation der „Staatsform“. Während bei den Bienen die meist männlich gedeuteten Königinnen als klare Anführer wahrgenommen und beschrieben werden, hält etwa Aristoteles (HA 488a10-13) die Ameisen für ζῷα ἄναρχα (zōa anarcha; „Tiere ohne Anführer“). Diese vermeintliche Anarchie der Ameisen bedeutet aber nicht, dass man von einem Chaos im Ameisennest ausging, sondern die Ordnung, die sich auch ohne distinkte Anführer einstellte, war im Gegenteil ein Grund zur Bewunderung. Auch im alttestamentlichen Buch der Sprichwörter (6,6–8) findet sich eine ähnliche Vorstellung von der Organisation des Ameisenstaates. Eine Identifizierung der „Staatsform“ mit der Demokratie lässt sich in den erhaltenen antiken Texten jedoch kaum nachweisen. Allenfalls eine Passage im Ikaromenippos (19) des kaiserzeitlichen Satirikers Lukian könnte eine solche Charakterisierung des Ameisenstaates zeigen. Eine Erklärung für diese Sicht auf die Organisation des Ameisenstaates könnte die Tatsache sein, dass die geflügelten Geschlechtstiere zum einen nicht ganzjährig als solche zu sehen sind (bei vielen Arten wirft die befruchtete Königin ihre Flügel auch ab) und sie zudem oftmals als eigene „Arten“ wahrgenommen wurden, die nicht unmittelbar mit den ungeflügelten Ameisen in Verbindung stehen. Obwohl die moderne Biologie sehr viele verschiedene Ameisenarten kennt, scheint dies in der antiken Literatur weniger beachtet worden zu sein. Typischerweise gilt sie als kleines schwarzes Tier, das sich von Pflanzensamen ernährt und sein Nest unter der Erde anlegt (dazu im Folgenden). Weitere „Arten“ werden allenfalls in medizinisch-magischen oder naturkundlichen Texten unterschieden (z.B. Plinius NH 29,92; 30,29; Aelian NA 10,42; Kyraniden 2,25: 7 Arten). Ob hinter den dort beschriebenen Tieren aber tatsächlich in jedem Fall eine Ameise nach modernen Maßstäben steht, ist fraglich. Generell scheinen kleine Insekten häufig als Ameisen oder zumindest als ameisenähnliche Tiere wahrgenommen worden zu sein.
In ihrer Ernährung werden Ameisen ebenfalls von den Bienen unterschieden. Im Gegensatz zu diesen Tieren sollen die Ameisen ihre Nahrung nicht selbst herstellen, sondern von anderen nehmen (Aristoteles HA 623b13-18; Plinius NH 11,108). Die Nahrung besteht nach den meisten antiken Quellen, wie bereits gesagt, vor allem aus Getreidekörnern, nur selten wird eine andere Ernährung erwähnt (Anthologia Graeca 7,213; Sueton Tiberius 72,2; Plutarch De sollertia animalium 967E1-F2; Aelian NA 6,50; Isidor Etymologiae 12,3,8). Die Ernährung von Getreidekörnern wird so zentral für die antiken Ameisenvorstellungen, dass gar die Etymologie des lateinischen Wortes formica aus micas ferre („Körnchen tragen“) hergeleitet wird (Servius In Aeneidos librum 4,402; so auch bei Isidor Etym. 12,4,9). Diese Ernährungsweise konnte vom Menschen durchaus als negativ wahrgenommen werden, sodass viele agronomische Schriften Ameisen als Kornschädlinge beschreiben und entsprechende Gegenmaßnahmen anführen (Cato De agri cultura 91; Varro Res rusticae 1,51,1; Vergil Georgica 1,185f.; Columella Res rustica 2,8,5; Palladius Opus agriculturae 1,35,2; 4,10,21; Geoponica 2,18,1; 13,10).
Demgegenüber kann das Eintragen von Getreidekörnern aber auch als Zeichen ihres sprichwörtlichen Fleißes (z.B. Corpus Aesopicum 112; Aristoteles HA 622b19-21. 24-27; Aelian NA 4,44) oder ihrer Fähigkeit zur Vorratshaltung positiv gedeutet werden (z.B. Corpus Aesopicum 112; Vergil Georg. 1,185f.; Aeneis 4,402f.; Horaz Sermones 1,1,35; Aelian NA 2,25; Origenes Contra Celsum 4,83; Isidor Etym. 12,3,9). In diesem Zusammenhang wird in einigen Texten ebenfalls berichtet, dass die Ameisen die Körner annagen oder teilen, um ein vorzeitiges Keimen zu verhindern (z.B. Plinius NH 11,109; Plutarch De soll. anim. 968A7f.; Aelian NA 2,25; Physiologus 12; Geoponica 15,1,26). Darüber hinaus sollen die Körner bei drohendem Regen oder, wenn sie bereits feucht geworden sind, aus dem Bau getragen werden (so z. B. Plinius NH 11,109; Plutarch De soll. anim. 967F6- 968A2 [„Eier“ oder Körner]; Physiologus 12; Isidor Etym. 12,3,9). In manchen Texten ist in diesem Zusammenhang nicht von Körnern, sondern von „Eiern“ (modern dürften eher die Puppen gemeint sein) die Rede (Theophrast De signis 22,149-151; Arat Phaenomena 956f.; Vergil Georg. 1,379f.; Plinius NH 18,364).
Das Nest der Ameisen wird in der Regel als ein System von unterirdischen Höhlen und Gängen beschrieben (sehr anthropomorph etwa bei Plutarch De soll. anim. 968A8-B5 und Aelian NA 6,43). Diese Form der Nestanlage sowie die Ernährung von Pflanzensamen unterscheiden antike Vorstellungen etwa von modernen mitteleuropäischen, wo man eher von einer karnivoren Ernährung und von Nestern in Hügelform ausgeht. Tatsächlich stimmen diese Charakteristika aber mit den im Mittelmeerraum verbreiteten Arten der Ernteameisen aus der Gattung Messor überein, sodass diese Arten möglicherweise die natürliche Grundlage bilden, aufgrund derer man Ameisen allgemein beschrieben hat. Nur selten werden andere Orte des Nestbaus wie in oder auf Bäumen genannt (z.B. Ovid Metamorphoses 7,624-626; Plinius NH 10,206; Apuleius Metamorphoses 8,22,6). Aelian (NA 16,15) nennt zudem bestimmte indische Ameisen, die einen Hügel errichten sollen. Möglicherweise stehen eher Termiten hinter diesem Bericht.
Eine Besonderheit der Ameisen, die sich in vielen antiken Texten findet, ist ihre große Verbundenheit untereinander. Diese soll sogar über den Tod hinaus gelten, was sich an aufwändigen und durchaus anthropomorph beschriebenen Begräbnissen und Totenriten zeige (Plinius NH 11,110; Aelian NA 5,49; 6,43; 6,50; Plutarch De soll. anim. 967E1-F2; Origenes C. Cels. 4,84; Geoponica 13,10,14).
Ein bekanntes Beispiel für eher wundersame Tiere sind die goldgrabenden Riesenameisen. Diese werden erstmals bei Herodot (3,102-105) als größer als Füchse aber kleiner als Hunde beschrieben und in Indien verortet. Diese Ameisen werden dann bald in zahlreichen anderen Texten – nicht selten als Topos – erwähnt (z.B. Kallimachos Frg. 163,58f. Asper = 202,58f. Pfeiffer; Theokrit Idyllia 17,106f.; Properz Elegi 3,13,5; Strabon Geographica 15,1,44; Plinius NH 11,111; Arrian Indica 15,4-6). Vor allem in späterer Zeit wird teilweise auch Afrika als Lebensraum dieser Tiere genannt (z. B. Solinus CR 30,23; Heliodor Aethiopica 10,26; Philostrat Vita Apollonii 6,1; Isidor Etym. 12,3,9).
Ausg.: Aelian: De natura animalium, ed. M. García Valdés/L. A. Llera Fueyo/L. Rodríguez-Noriega, 2009; Aesopica I, ed. B. E. Perry, 1952; Anthologia Graeca, ed. H. Beckby, 1965; Apuleius: Metamorphoses, ed. M. Zimmermann, 2012; Arat: Phaenomena ed. D. Kidd, 1997; Aristoteles: Historia animalium, ed. D. M. Balme, prepared for publication by A. Gotthelf, 2011; Arrian: Scripta minora et fragmenta, ed. A. G. Roos/G. Wirth, 1967; Cato: De agri cultura, ed. A. Mazzarino, 1982; Columella: Res rustica, ed. R. H. Rodgers, 2010; Geoponica, ed. H. Beckh, 1895; Heliodor: Aethiopica, ed. A. Colonna, 1938; Herodot: Historiae, ed. N. Wilson, 2015; Horaz: Opera, ed. D. R. Shackleton Bailey, 2006; Isidor: Etymologiae sive Origines, ed. W. M. Lindsay, 1911; Kallimachos: Volumen I, Fragmenta, ed. R. Pfeiffer, 1949; Kallimachos: Volumen II, Hymni et Epigrammata, ed. R. Pfeiffer, 1953; Kallimachos: Werke, ed. M. Asper, 2004; Kyraniden, ed. D. Kaimakis, 1976; Lukian: Opera, Volumen I, ed. M. D. Macleod, 1972; Origenes: Contra Celsum, Volumen II, ed. M. Borret, 1968; Ovid: Metamorphoses, ed. W. S. Anderson, 1982; Palladius: Opus agriculturae, De veterinaria medicina, De insitione, ed. R. H. Rodgers, 1975; Philostrat: Opera, Volumen I, ed. C. L. Kayser, 1870; Physiologus, ed. F. Sbordone, 1936; Platon: Opera, Volumen I, ed. E. A. Duke/W. F. Hicken/W. S. M. Nicoll/D. B. Robinson/J. C. G. Strachan, 1995; Plinius, Naturalis historia, ed. R. König/G. Winkler, 1973-2007; Plutarch: Moralia, Volumen VI, Fasciculus 1, ed. C. Hubert/H. Drexler, 1959; Properz: Elegi, ed. S. J. Heyworth, 2007; Servius: In Vergilii carmina commentarii, ed. G. Thilo/H. Hagen,1878-1887, repr. 1961; Solinus: Collectanea rerum memorabilium, ed. T. Mommsen, 1895, repr. 1958; Strabon: Geographica, ed. S. Radt, 2002-2011; Sueton: De vita Caesarum, ed. M. Ihm, ND 1958; Theokrit: Idyllia, ed. A. S. F. Gow, 1952; Varro: Res rusticae, ed. D. Flach, 2006; Vergil: Opera, ed. R. A. B. Mynors, 1969.
Lit.: I. C. Beavis: Insects and other invertebrates in classical antiquity, 1988, 198-211; D. Berrens: Soziale Insekten in der Antike, Diss. Mainz 2016; M. Davies/J. Kathirithamby: Greek insects, 1986, 37-46; K. Karttunen: India in early Greek literature, 1989, 171-180; O. Keller: Die antike Tierwelt 2, ND 1980,416-421; A. Marx: Ameise, RE 1,2 (1894), 1820–1822; H.-G. Nesselrath: Herodot und die Enden der Erde, Museum Helveticum 52 (1995), 20-44; P. Rech: Ameise, RAC 1 (1950), 375–377; T. Reimer: Kleiner als Hunde, aber größer als Füchse. Die Goldameisen des Herodot, 2005.
Dominik Berrens