Papagei – C. – II.1 Physiologus, Bestiarien

Die Aufnahme des Papageis in den griechischen Physiologus findet erst im 11. Jahrhundert statt (pseudo-basilianische Physiologus-Redaktion; Version BI nach der Nomenklatur Mc Cullochs). In dieser pseudo-basilianische Physiologus-Redaktion wird über das Tier gesagt, es sei ‘klein wie ein Rebhuhn’ und spreche ‘in gleicher Weise wie ein Mensch’. Daraufhin folgt die religiös-heilsgeschichtliche Auslegung dieser Sprachbegabung nach Basilius: Auch der Mensch solle die Stimmen der Apostel, die Gott gepriesen hätten, und den Wandel der Gerechten nachahmen, damit er sich als würdig erweise, die lichtglänzenden Sitze der Gerechten zu erreichen.
Bei der Aussage, der Papagei spreche selbst und unterhalte sich in gleicher Weise wie ein Mensch, könnte es sich um eine Martial-Rezeption handeln (Martial, Epigramm XIV, 73). Der Physiologus greift die ‒ durch Isidor von Sevilla (Etymologien 12, 7, 24) tradierte ‒ Eigenschaft des Vogels auf und schließt eine religiös-heilsgeschichtliche Deutung daran an (→ B. 1; → C. II.2). Den Ausgangspunkt bildet dabei die Sprachbegabung, die bereits in antiken naturkundlichen Texten das Hauptmerkmal des Vogels darstellt (Aristoteles, HA 8,12 597b 27–29; Plinius NH 10,117; Solinus 52, 43-45). Die späte Aufnahme des Papageis in den Physiologus ist höchstwahrscheinlich der Grund dafür, dass dieser Vogel auch in vergleichsweise wenigen lateinischen und französischen Bestiarien zu finden ist (→ D.1.II.1).

Ausg.: Aristoteles: Tierkunde, übers. P. Gohlke, 21957; Isidorus: Etymologiarum sive Originum libri XX, ed. J. André, 1986; M. Valerius Martialis: Epigramme, ed. N. Holzberg, 2008; Physiologus, ed. F. Sbordone, 1936; Physiologus. Frühchristliche Tiersymbolik, ed. U. Treu, 1987 [dt. Ausgabe]; C. Plinius Secundus: Naturalis historia, ed. R. König/G. Winkler, 1973-2007, Buch 10; C. Julius Solinus: Collectanea rerum memorabilium, ed. T. Mommsen, 1895.

Lit.: B. T. Boehrer: Parrot Culture. Our 2500-Year-Long Fascination with the World’s Most Talkative Bird, 2004, 24f.; F. McCulloch: Medieval Latin and French Bestiaries, 1962, 150f.; S. Mühlenfeld: Konzepte der ʻexotischenʼ Tierwelt im Mittelalter, Diss. Mainz 2017; B. Ribémont: Histoires de perroquets: petit itinéraire zoologique et poétique, in: Reinardus 3 (1990), 161f.

Stephanie Mühlenfeld