Der Panther ist eines der drei Tiere, die im altenglischen Physiologus des Exeter Book beschrieben werden. Der Panther haust in Höhlen von Schluchten ferner Länder und wird als „einsamer Wanderer“ (anstapa, Z. 15) bezeichnet. Er ist jedem Wesen freundlich gesonnen – mit Ausnahme des → Drachen, mit dem er eine ewige Feindschaft hegt. Die Erscheinung des Panthers ist wunderschön, denn sein Fell schimmert in verschiedenen prächtigen Farbtönen. Sein Charakter ist durchwegs positiv: sanftmütig, gütig und „voller Liebe“ (lufsum, Z. 32). Nachdem der Panther gesättigt ist, ruht er für drei Tage in einer dunklen Höhle, die er am dritten Tag gestärkt und mit prächtigem Aussehen verlässt. Seinem Maul entströmt ein süßer, wohlriechender Duft, der sowohl die Menschen als auch andere Tiere anlockt und verzückt. Im christlichen Sinne verkörpert der Panther Gott, der zu jedem seiner Geschöpfe freundlich ist. Dem steht der Teufel entgegen, der mit dem Drachen assoziiert wird und dessen Feuer an das Höllenfeuer erinnert. So wie der Panther für drei Tage ruht, so ruhte auch Jesus Christus vor seiner Auferstehung am dritten Tag. Die Kunde von Jesu Auferstehung verbreitete sich in der Welt wie der edle und seltene Duft des Panthers.
Im Middle English Physiologus handelt das zwölfte Kapitel vom Panther, dessen Inhalt dem des altenglischen Physiologus stark ähnelt. Der Panther wird auch hier mit Gott und dem Guten assoziiert, während der Drache nach wie vor sein einziger Feind bleibt und den Teufel symbolisiert. Der Panther gilt als das schönste Tier auf Erden, sein schwarzes Fell besitzt runde weiße Flecken. Erzählungen über seine Angewohnheit, nach dem Fressen für drei Tage zu ruhen, und sein süßer Duft gleichen denen des altenglischen Pendants: Der Panther steht für Jesus Christus und sticht daher unter allen Tieren hervor, so wie Jesus über den Dingen steht. Sein dreitägiger Schlaf endet mit seinem lauten Gebrüll, wodurch sein Maul einen wohlriechenden Duft verströmt und die Menschen von weit her anlockt, um ihm wie Christus zu folgen und das Göttliche zu erstreben. Während des Gebrülls liegen die Drachen ruhig und reglos in ihren Gruben, als ob sie zu Tode erschrocken wären. Das Erwachen des Panthers am dritten Tag stellt im spirituellen Sinn Jesu Auferstehung dar und dort, wo Gottes Wort erklingt, traut sich die feindliche Schlange – oder Drache, also der Teufel – weder zu regen noch einem Menschen Schaden zuzufügen. Denn Gottes Liebe und Gesetz herrschen und verbreiten sich wie der Wohlgeruch des Panthers.
Ausg.: The Old English Physiologus, The Exeter Book, ed. G. Ph. Krapp and E. van Kirk Dobbie, 1936, 169-71; The Middle English Physiologus, ed. H. Wirtjes, 1991, 19-20.
Irina Rau