PELIKAN – Lateinische Literatur

Pelikan – C. – II.1 Physiologus, Bestiarien

Mit Ausnahme des Physiologus Theobaldi berichten alle lateinischen Fassungen des Physiologus (Version b und y, Kapitel 6; Version c, Kapitel 4; Dicta Chrysostomi, Kapitel 20) vom Pelikan. Nachdem zunächst der dem alttestamentlichen König David zugeschriebene Ausspruch similis factus sum pelicano solitudinis […] (VUL Ps.101,7) angeführt und von der großen Liebe, die der Pelikan zu seinen Kindern pflegt, berichtet wird, rückt schnell die Beschreibung eines detaillierten Erweckungsberichtes in den Mittelpunkt der Darstellung.

Bald nach ihrer Geburt beginnen die Pelikankinder die eigenen Eltern zu schlagen. Das Resultat dieses Angriffes sind wiederum Schläge der sich zur Wehr setzenden Pelikaneltern, die zum Tode ihrer Kinder führen. Darauf verfallen die Eltern in eine von Mitleid hervorgerufene Trauer (Version c, y). Drei Tage später durchstößt ein Elternteil (Version b, y, Dicta: Mutter; Version c: Vater) seine eigene Rippe (Version b, y, Dicta) und/oder öffnet seinen Brustkorb (Version b, c, Dicta). Das dabei hervortretende Blut wird über die toten Kinder vergossen, die so wieder zum Leben erweckt werden.

Die darauffolgende heilsgeschichtliche Auslegung dieses Berichtes deutet das Selbstopfer der Pelikaneltern als Sinnbild für den Kreuzigungstod Christi. Indem er das Kreuz emporstieg und dort sein Blut und Wasser vergoss, erlöste er die von ihrem Schöpfer abgefallene Christenheit von ihren Sünden. Diese Interpretation wird bereits zu Beginn der Pelikandarstellung mit dem oben genannten Zitat aus dem Buch der Psalme gerechtfertigt. Denn durch die Verknüpfung des Pelikans mit König David ergibt sich gleichzeitig eine Verbindung zu Jesus Christus, dem „Sohn Davids“. Zusätzlich untermauert wird diese Form der Auslegung durch die Nennung der Zahl Drei im Erweckungsbericht. Sie gilt im allgemeinen als Zeichen der Trinität und der Auferstehung Christi.

Ausg.: Physiologus Latinus (Versio B), ed. F. J. Carmody, 1939; Physiologus Latinus (Versio Y), ed. F. J. Carmody, 1941; Physiologus Bernensis, ed. Chr. v. Steiger / O. Homburger, 1964; Denkmäler deutscher Prosa des 11. und 12. Jahrhunderts, ed. F. Wilhelm, 1960.

Lit.: C. Gerhardt: Die Metamorphosen des Pelikans, 1979; N. Henkel: Studien zum Physiologus im Mittelalter, 1976; F. McCulloch: Mediaeval Latin and French Bestiaries, 1960.

Kevin Gröwig

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