FLUSSPFERD – Lateinische Literatur

Flusspferd – C. – II.1 Physiologus, Bestiarien

Das Flusspferd gehört nicht zum Repertoire der Physiologus-Tiere. Auch in die lateinischen Bestiarien wird es – im Gegensatz zum → Krokodil – nicht aufgenommen.

Sabine Obermaier

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Flusspferd – C. – II.2 Tierkunde, Enzyklopädik

Isidor von Sevilla und ihm folgend Hrabanus Maurus ordnen das Flusspferd unter die ‚Fische‘ (De piscibus, gemeint eher: Wassertiere) ein und zählen sie – wie schon Ambrosius in der Nachfolge des Aristoteles – zusammen mit Seehunden und → Krokodilen zu den Amphibien (IS 12,6,3; HM 8,5). Noch für Honorius Augustodunensis (PL 172,136A), Bartholomaeus Anglicus (13,26) und Albertus Magnus (24,61) gehören die Flusspferde zu den Tieren des Wassers. Thomas von Cantimpré nimmt das Tier unter drei verschiedenen Namen auf, worin ihm Albertus Magnus und Vinzenz von Beauvais folgen: Es gibt jeweils ein Kapitel De ipothamo nach Plinius (TC 6,28, AM 24,61, VB 13,136f.), ein Kapitel De equo fluminis nach Aristoteles (TC 6,20, AM 24,45, VB 13,115) und ein Kapitel De equo Nili fluminis aus unbekannter Quelle, angeblich nach Michael Scotus (TC 6,19, AM 24,44, VB 13,115). Alle drei Tiere ordnet Thomas im Buch De monstris marinis ein (so auch die Redaktion Thomas III). Vinzenz von Beauvais und Alexander Neckam besprechen das Flusspferd ebenfalls unter den Meerwundern, die hier wiederum ihren Platz unter den ‚Fischen‘ (De piscibus) haben (VB 13,115 und 17,136f., AN 2,30). Noch bei Conrad Gesner hat das Flusspferd seinen Platz im Abschnitt De Aquatilibus animalium quorum nomina initio aspirantur H (HA 4,484ff.); doch in der 1556 erschienenen lateinischen Ausgabe De piscibus et aqvatilibvs omnibvs libelli III novi (Zürich: Andreas Gesner 1556) wird das Flusspferd – neben dem → Krokodil – immerhin unter der Rubrik BELVAE ALIAE / Communes, mari, terrae, amni, (Nilo peculiares,) also unter den Meeressäugetieren, aufgeführt.

Die mittelalterlichen Enzyklopädisten beschreiben das Tier mit den üblichen Attributen aus der aristotelisch-plinianischen Tradition: Regelmäßig erwähnt werden die Ähnlichkeit des Tieres mit dem Pferd in Mähne, Rücken und Stimme (IS 12,6,21, HM, AN, BA; ipothamus: TC, VB, AM – dagegen hat der menschenfressende equonilus eher Ähnlichkeit mit dem → Krokodil), die zweigespaltenen Klauen (AN; ipothamus/equus fluminis: TC, VB, AM), die scharfen Hauer (IS, HM, AN; ipothamus: TC, VB, AM), das Schweineschwänzchen (IS, HM, AN; ipothamus/equus fluminis: TC, AM) sowie die nur in feuchtem Zustand zu durchdringende dicke Haut (ipothamus/equonilus: TC, VB, AM). Eingang in die mittelalterlichen Enzyklopädien finden z.T. auch die bei Plinius erwähnten Hinweise auf die Spurlist bei der nächtlichen Zerstörung der Saaten (IS, HM und BA: ohne List!, AN, ipothamus: TC, VB, AM), die Aderlass-Technik bei Überfressen (AN, ipothamus: TC, VB, AM) und der Einsatz des Tieres bei römischen Spielen (ipothamus: TC, AM). Zur Größe des Tieres gibt es verschiedene Angaben: Der ipothamus soll größer als ein → Elefant sein (TC 6,28,3, VB 13,136, AM 24,61), wohl eine Reminiszenz aus der Epistola Alexandri ad Aristotelem (B 25,35, V 13,1 → C. IV.1); eselsgroß ist dagegen der equus fluminis (TC 6,20; VB 13,115; AM 24,45). Die Nähe zum Pferd findet sich bei Conrad Gesner endlich relativiert; aber noch Gesner hält am zweigespaltenen Huf und anderen ‚Irrtümern‘ fest (siehe auch E.4 II.2.)

Ausg.: Albertus Magnus, De animalibus, ed. H. Stadler, 1916-1920; Alexander Neckam, De naturis rerum libri duo, ed. Th. Wright, 1863; Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus, 1601, ND 1964; Conrad Gesner, Historiæ animalium liber IIII, 1558 (Online-Ausgabe unter http://gdz.sub.uni-goettingen.de/dms/load/img/?PPN=PPN472755935); Conrad Gesner, De piscibus et aqvatilibvs omnibvs libelli III novi, 1556 (Online-Ausgabe unter http://www.e-rara.ch/zuz/content/titleinfo/1468264; Hrabanus Maurus, De rerum naturis, PL 111, 1852, Digitale Ausgabe der Patrologia Latina Database (http://pld.chadwyck.co.uk/); Isidorus, Etymologiarum sive Originum libri XX, ed. W. M. Lindsay, 1911, ND 1985; Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum, ed. H. Boese, 1973; Vinzenz von Beauvais, Speculum naturale 1624, ND 1964.

Lit.: C. Hünemörder: Nilpferd, Lexikon des Mittelalters 6 (1993), 1192f.; S. Obermaier: Antike Irrtümer und ihre mittelalterlichen Folgen: Das Flusspferd, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 21 (2011), 135-179, 138-144.

Sabine Obermaier

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Flusspferd – C. – IV.1 Narrative Texte

Hagiographie: Das Flusspferd kommt nur in wenigen Legenden vor: Dominic Alexander erwähnt die Legende De Beno aus der Historia Monachorum des Rufinus (4, 408), worin der Heilige auf Geheiß der Bauern dem Tier befiehlt, sich zu entfernen. In den Acta Sanctorum ergab die elektronische Suche ebenfalls nur einen Treffer, die Legende des Hl. Fabianus (allerdings ist das Flusspferd durch die extrem ungeregelte Schreibung seines Namens auch schwer zu suchen).

Lit.: D. Alexander: Saints and Animals in the Middle Ages, Woodbridge 2008, 32f. (mit Anm. 61)

Epik: Flusspferde gehören in der Tradition des Alexander-Romans als eine der ‚Gefahren des Wassers‘ und der tiergestaltigen ‚Plagen‘ zu den ‚Wundern des Ostens‘. Bereits bei Pseudo-Kallisthenes (300 n. Chr.) wird erzählt, wie ein Trupp Flusspferde Alexanders Männer beim Überqueren eines Flusses angreift (S. 61). Iulius Valerius Maximus (3,17) lässt die Tiere zweimal angreifen, und bei Leo von Neapel (3,17) werden die Tiere – vermutlich nach dem Vorbild der Epistola Alexandri ad Aristotelem (B 25,39-26,3; an anderer Stelle wird hier das Flusspferd als ein kentaurartiges Hybridwesen beschrieben, das halb Mensch, halb Pferd ist, B 25,34-36, vgl. Hugo von St. Victor, Descriptione mappae mundi 15,387, ed. P. Gautier Dalché) – zu menschenfressenden Ungeheuern monstrifiziert. In dieser Form findet die Episode Eingang in die verschiedenen Rezensionen der Historia de preliis (Hdp § 86, J1 11. Jh., J2 spätestens im 12. Jh. und J3 zwischen 1185 und 1236), die aus anderen Quellen noch zwei weitere Flusspferd-Episoden integriert: Im östlichen Indien begegnet Alexanders Heer einer in einem Sumpf lebenden bestia ganz eigener Art (Hdp § 92): Dieses flusspferd-ähnliche Untier (similis ippotamo) hat die Brust eines → Krokodils, einen Rückenkamm wie die Serra, sehr kräftige Zähne; es bewegt sich langsam wie eine → Schildkröte, tötet jedoch zwei Soldaten, bevor es selbst mit eisernen Hämmern zur Strecke gebracht wird (vgl. eqonilus bei TC → C.II.2). Im Kontext der Brahmanen-Episode hindern Flusspferde und andere Wassertiere Alexander und seine Männer an der Überquerung des Flusses (Hdp J1/J2 § 98), wohingegen die Brahmanen ihn ungehindert überqueren können: Der nur von einer Seite aus überquerbare Fluss wird hier zum Sinnbild dafür, dass Alexander die Welt der Brahmanen räumlich und geistig verschlossen bleibt. In Rezension J3 (§ 98) und bei Quilichinus de Spoleto (2235-2248) wird dagegen das Bild eines listenreichen Alexander gezeichnet, der ein spezielles Boten-Boot anfertigen lässt, so dass immerhin ein Vertreter des Makedonenkönigs zum Brahmanenkönig gelangen kann. Damit wird auch deutlich: Die von Flusspferden und anderen gefährlichen Wassertieren bewohnten Flüsse bilden auf dem Weg Alexanders stets nur punktuelle Begrenzungen für Alexanders Macht.

Ausg.: Der Alexanderroman mit einer Auswahl aus den verwandten Texten, übers. F. Pfister, 1978; Epistola Alexandri ad Aristotelem [Vulgatversion], ed. W. W. Boer, 1973; Epistola Alexandri ad Aristotelem [Bamberger Hs.] = Kleine Texte zum Alexanderroman, ed. F. Pfister, 1910; Iulius Valerius [Maximus]: Res Gestae Alexandri Macedonis, ed. M. Rosellini, 1993; Der Alexanderroman des Archipresbyters Leo, ed. F. Pfister, 1913; Historia Alexandri Magni (Historia de preliis). Rezension J1, ed. A. Hilka / K. Steffens, 1979; Historia Alexandri Magni (Historia de preliis). Rezension J2, ed. A. Hilka / H.-J. Bergmeister / R. Grossmann, 1976-1977; Die Historia de preliis Alexandri Magni. Rezension J3, ed. K. Steffens, 1975; Quilichinus de Spoleto: Historia Alexandri Magni, ed. W. Kirsch, 1971.

Lit.: S. Obermaier: Antike Irrtümer und ihre mittelalterlichen Folgen: Das Flusspferd, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 21 (2011), 135-179, hier 145-147, 155-163.

Sabine Obermaier

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Flusspferd – C. – I. Terminologisches

Der aus dem Griechischen übernommene lateinische Name hippopotam(i)us erscheint bei den Enzyklopädisten des Mittelalters – wie bereits in lateinischer Literatur – in verkürzter und schließlich verballhornter Form: yppotami (HM, 8,5), hippotamus (AN 2,30), Ipothamus (TC 6,28), Hippotamus (VB 17,136), irrtümlich auch Ipodromus (AM 24,61). Mit der Verballhornung des griechischen Namens geht auch teilweise eine Trennung des Namens von seiner Umschreibung als equus fluvialis bzw. equus Nili einher, was für die Identifizierung des Tieres weitreichende Folgen hat.

Lit.: S. Obermaier: Antike Irrtümer und ihre mittelalterlichen Folgen: Das Flusspferd, in: Antike Naturwissenschaft und ihre Rezeption 21 (2011), 135-179, hier 140.

Sabine Obermaier

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