RABE – Nordische Literatur

Rabe – E.1 – II.1 Physiologus, Bestiarien

Trotz ihrer Häufigkeit im Norden überliefert die isländische Übersetzung des Physiologus keinen Verweis auf Raben oder Krähen. Fragment B enthält eine kurze Erwähnung des ›Nachtraben‹, nycticorax, hier wohl mit Psalm 102,7 auf den Nachtreiher bezogen.

Ausg.: The Icelandic Physiologus, ed. H. Hermannsson, 1938.

Verena Hoefig

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Rabe – E.1 – IV.2 Lyrische Texte

Skaldik: Der Rabe als Odinstier ist in der skaldischen Dichtung allgegenwärtig, sowohl in eigenständiger Funktion als auch als Bestimmungswort, hier zumeist für Odin oder Kampfhandlungen im Allgemeinen. In Þjóðólfr hvínverski's Haustlöng (9. Jh.) wird Odin als Hrafnáss, als ›Raben-Ase‹ umschrieben, der Liðmannsflokkr nennt den Raben Hnikars gjóðr, ›Odins Adler‹. In zahlreichen weiteren Kenningar (der für die Skaldendichtung so typischen bildhaften Umschreibung) dient der Rabe zur Bezeichnung von Kriegern, Schlachten, Waffen und Gefallenen.

“Klassische” Kriegerkenningar greifen so auf Odins Raben zurück, umschrieben etwa als Yggjar mǫ ›Odins Vogel/Möwe‹, und bezeichnen einen Krieger beispielsweise als Yggjar mǫs fiðrirjóðr ›der die Fittiche des Raben rot macht‹, wie Arnorr Jarlaskáld in der Magnúsdrápa. In den Reginsmál 18 and Fafnismál 35 sind Krieger die, die ›den Hugin erfreuen‹, Hugin gladdi. Das Verb ›kämpfen‹ wird bei Hárvarðr Halti durch feita Yggjar mǫ ersetzt, also durch ›den Raben füttern‹, die Gefallenen auf dem Schlachtfeld werden zu Hugins barr, ›Hugins Ernte/Gerste‹, das Blut zum ›Wein des Raben‹, hrafna vín.

Rabenkenningar werden zumeist mithilfe anderer Vogelnamen als Grundwort gebildet, denen als Bestimmungswort Odins- oder Walkürennamen, Óðins haukr ›Odinsfalke‹, Skǫglar gagl ›Skǫgull's Gössel‹ oder Hlakkar svanr ›Hlǫkk's Schwan‹ hinzugefügt werden. Vereinzelt tritt auch der → Kranich als Bestandteil solcher Rabenkenningar auf: hjaldrs trani ›Kranich der Schlacht‹ und blóðtrani ›Blutkranich‹.

Häufig sind auch Waffen oder Begriffe wie Kampf oder Leiche als Bezugswort: hjaldrs svanur ›Schlachtenschwan‹, morðhaukr ›Mordfalke‹, valfugl ›Schlachtfeldvogel‹, hræva gaukr ›Aas-Kuckuck‹.

Ausg.: Den Norsk-Islandske skjaldedigtning, ed. F. Jónsson, 1912-1915.

Lit.: V. Höfig: Raben und Rabenvögel, in: Tiere in skandinavischer Literatur, 2007, 73-93; J. Lindow: Handbook of Norse Mythology, 2001, 187; R. Meissner (ed.): Die Kenningar der Skalden, 1921; R. Simek: Religion und Mythologie der Germanen, 2003; J. de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte, 2.2 1957.

Verena Hoefig

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Rabe – E.1 – IV.1 Narrative Texte

Lieder-Edda: Die Verbindung von Odin als Gott des Krieges, der Weisheit, der Magie und der Poesie mit zwei Raben ist in den lyrischen Texten des Nordens ab dem späten 9. Jahrhundert nachweisbar, könnte aber bis vor die Völkerwanderungszeit zurückreichen, wobei die Namensgebung der beiden Tiere jünger ist. In Namen und Funktion werden die beiden Odinsraben Huginn (›Gedanke‹) und Muninn (›Erinnerung‹) in den Grimnismál 20 in der Liederedda genannt; Odin (Grímnir) beschreibt hier, wie die beiden Raben täglich ausfliegen, um ihm Neuigkeiten von weit und fern zu bringen. Vor allem um Muninns Rückkehr sorge er sich jedoch sehr – ein Hinweis, der in der Forschung auch als Verweis auf Odins Fähigkeit zu schamanischen Trance-Zuständen gelesen wird, wobei die Sorge um die Rückkehr Muninns den Gefahren entsprechen könnte, welchen der Schamane auf der Suche nach mystischem Wissen ausgesetzt ist.

Als passendes Geleit und Vorbereitung eines Kriegers für den Zug in die Schlacht bezeichnet Hnikarr (unter welchem Namen sich Odin verbirgt) das Geleit eines Raben in den Reginsmál 20. Nicht in direkter Verbindung mit Odin, wohl aber als Vorzeichen für Kampfhandlungen mit Todesfolge treten zwei Raben in der Helgakviða Hundingsbana 5 in Erscheinung, wo sie mit ihrem Gekrächze den Helden Helgi und seine Mutter beunruhigen. In der Helgakviða wird deutlich, dass die Raben in ihrer weissagenden Funktion sowohl Grosses als auch Beunruhigendes über Helgis Zukunft wissen und von ihm baldige blutige Beute erwarten.

Prosa-Edda: Snorri Sturluson zitiert in der Gylfaginning 38, dem Hauptteil der Prosa-Edda (auch Snorra-Edda oder Jüngere Edda), zunächst Grímnismál 20 (→ Lieder-Edda) welche die Funktion der beiden Raben Odins, Huginn (›Gedanke‹) und Muninn (›Erinnerung‹) beschreibt. Odin wird hier als Hrafnaguð, ›Rabengott‹ umschrieben, eine Eigenschaft die in der Ynglinga saga genauer erläutert wird - seine beiden Raben können sprechen und fliegen aus, um dem Gott Neuigkeiten zu bringen, wovon er sehr weise wird. Vor allem in skaldischen Kenningar (→ Lyrische Texte) treten Raben in direkter Verknüpfung zu Odin auf.

Sagaliteratur: Die Isländersagas überliefern mehrfach Hinweise auf eine prophetische und vermittelnde, weissagende Funktion von Raben und Rabenvögeln (eine klare Unterscheidung ist nicht immer möglich), oft in direktem Bezug auf den Charakter des Raben als Odinsvogel (→ Lieder-Edda).

In unmittelbarem Bezug zu Odin steht eine Episode aus der Ólafs saga Tryggvasonar, wo in Kapitel 27 von Jarl Hákon berichtet wird, der von seiner erzwungenen Bekehrung aus Dänemark zurückkehrt und ein Opfer darbringt, als er an der Küste entlangsegelt. Als ihm zwei Raben entgegenfliegen, schlussfolgert er, dass Odin sein Opfer angenommen und ihm seinen Glaubenswechsel nachgesehen hat.

Adam von Bremen überliefert zu Olaf Tryggvason selbst den Beinamen Craccaben, ›Krähenbein‹, ein Hinweis darauf, dass der norwegische König nicht nur der Zauberkunst im Allgemeinen, sondern auch der Deutung des Vogelfluges bzw. der Vogelknochen kundig gewesen sein soll. Adam zufolge waren derlei Kenntnisse allerdings später auch mitverantwortlich für Olafs frühen Tod.

Eine weitere Textstelle mit Raben in prophetischer Funktion liefert die Landnámabók. In Kapitel 2 wird hier von Flóki Vilgerðarson, Hrafna-Flóki, ›Raben-Flóki‹ berichtet, der mit Hilfe dreier Raben den Seeweg nach Island findet. Vor seiner Abreise opfert Flóki für die Raben, um deren Wegweisung zu erbitten, und lässt sie dann nacheinander auf seiner Reise frei. Der dritte Rabe weist ihm schliesslich den Weg an Islands Küste. In der Forschung wird die Episode auch als mögliche Parallele zu Gen 8,7 diskutiert.

Neben der Funktion als Göttervogel, Orakel oder Wegweiser tritt der Rabe in den Sagas als Schlachtenvogel und als Vorzeichen für Kampf mit möglicher Todesfolge in Erscheinung - wobei eine genaue Abgrenzung zur weissagenden Funktion nicht immer leicht fällt. In der Haralds saga Harðráða träumt der Seemann Gyrðr vor der bevorstehenden Schlacht von Scarborough von →  Adlern und Raben, welche sich auf den Steven der gesamten Flotte König Haralds niedergelassen haben. Der Traum verdeutlicht das nervöse Warten der Männer Haralds auf die folgenden Kampfhandlungen (welche bald darauf mit der Schlacht von Stamford Bridge in Haralds Niederlage und Tod münden).

In der Njáls saga bricht Högni auf, seinen getöteten Vater Gunnarr zu rächen, und wird dabei von zwei Raben begleitet, was die wilde Entschlossenheit des Helden, aber auch das bevorstehende Blutbad ankündigt.

Das Rabengeleit ist in der Dichtung (→ Lyrische Texte) ebenso wie in der ikonographischen Überlieferung des Nordens weit verbreitet (Helmblech von Vendel, Odin fra Lejre, Brakteaten der C Gruppe), und findet in der Form von Rabenbannern wiederum ekphrastische Erwähnung in den Sagas wie der Þorsteins saga Síðu-Hallssonar oder der Orkneyinga saga, wo von Jarl Sigurður berichtet wird, dessen zauberkundige Mutter ihm ein Banner gefertigt hat, welches im entgegenwehenden Wind einem Raben gleicht, der seine Flügel ausbreitet. Einem ebensolchen Rabenbanner vertraut König Harald in der Haralds saga Sigurðarsonar sogar soweit, dass er sich im Kampf vollkommen siegessicher weiss, solange ein Krieger das Banner voranträgt. Bildlich dargestellt ist ein Rabenbanner auf dem Teppich von Bayeux, wo ein Wilhelm dem Eroberer nachfolgender Ritter ein solches Banner trägt.

Ausg.: Austfirðinga sögur, ed. J. Jóhannesson, 1950;  Brennu-Njáls saga, ed. E. Sveinsson, 1954; Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern, I: Text, ed. G. Neckel/H. Kuhn,5 1983; Heimskringla. Snorri Sturluson, Vol. 1-3, ed. B. Aðalbjarnason, 1941-51; Íslendingabók, Landnámabók, ed. J. Benediktsson, 1968; Magistri Adam Bergensis Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum ep, ed. B. Schmeidler, 1917; Orkneyinga saga, ed. F. Guðmundsson, 1965.

Lit.: W. Heizmann/H. Reichstein: Rabenvögel, RGA 24 (2003), 40-45; J. Bernström: Korp, Kulturhistorisk leksikon for nordisk middelalder 9 (1964), 167-173; K. Hauck: Zur Ikonographie der C-Brakteaten, in: Archaeologisches Korrespondenzblatt 6 (1975), 235-42; V. Höfig: Raben und Rabenvögel, in: Tiere in skandinavischer Literatur, 2007, 73-93; V. Kulakov/ M. Markovets: Birds as Companions of Germanic Gods and Heroes, in: Acta Archaeologica 75 (2004), 179-188; W. Lange: Flokis Raben, in: Studien zur europäischen Vor- und Frühgeschichte, 1968, 358; K. Starkey: Imagining an Early Odin, in: Scandinavian Studies 71,4 (1999), 373-392; R. Simek: Religion und Mythologie der Germanen, 2003; J. de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte, 2.2 1957.

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Rabe – E.1 – I. Terminologisches

Raben sind nach ihrem auffälligen Ruf benannt, wie idg. *kra-p-no, ›der Kra macht‹ nahelegt. Die Bezeichnung ›Rabe‹ kann in allen germanischen Sprachen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgeführt werden: ahd. hraban, mhd. raben, mnd. raven, ags. hræfn, me. und ne. raven, anord. hrafn, adän. und aschwed. ramn weisen auf germ. *hrabna zurück. Als Nebenformen sind ahd. h(ram), ags. hræm(n), anord. hramn, aschwed. ramn und ahd. rappo und rabo, mhd. raben belegt.

Die Raben-heiti der Snorra Edda überliefern korpr (wohl zu schwed. dialektal garpa, karpa ›schnattern, schwatzen‹), ferner krummi, krumsi, kramsi (zu ahd. krimman ›kratzen, verletzen‹).

Ausg.: Den Norsk-Islandske skjaldedigtning, ed. F. Jónsson, 1912-1915.

Lit.: F. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, (24)2002, 738; H. Suolahti: Die deutschen Vogelnamen, 1909, 176; W. Heizmann/H. Reichstein: Rabenvögel, RGA 24 (2003), 42.

Verena Hoefig

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